Zum Weinen? – Zum Kotzen?!

Julian Reichel von der BILD-Zeitung stellte die Frage, ob „wir“ über die Opfer von Hanau genauso weinen, wie wenn sie deutsche Namen tragen würden. Und anschließend erzählt er „uns“, daß die Betroffenheit nach dem Anschlag vom Berliner Breitscheidt-Platz durch einen Islamisten höher war als nach dem Amok-Lauf eines im klinischen Sinne Geistesgestörten in Hanau. Eben deshalb, weil die einen Besucher eines Weihnachtsmarktes waren, die anderen aber Besucher oder Bedienung in Shisha-Bars.

Wenn Reichel recht hätte, wäre das vielleicht sogar erklärlich: Weit mehr Menschen in unserem Land haben jemals einen Weihnachtsmarkt besucht als eine Shisha-Bar!

Auf der anderen Seite wäre aber erst mal die Frage zu klären, was der gute Mann mit „wir“ meint. Da bringt er als Beispiel Gespräche beim Bäcker beim morgendlichen Brötchenkauf. Schöne heile Welt eines Gutverdieners! Der flaschensammelnde Kleinrentner, der Hartz-IV-Empfänger oder der prekär Beschäftigte, der vielleicht noch nicht mal den gesetzlichen Mindestlohn bekommt, kaufen sich keine Brötchen beim Bäcker. Zu teuer. Fürs gleiche Geld bekommen sie bei ALDI oder LIDL Billig-Brot mit dem fünffachen Nährwert. Und wenn sie Glück haben, gibt es das Brot vom Vortag für 30 Prozent weniger; auch auf die Gefahr hin, daß es eher mal schimmelt als die Frühstücksbrötchen, die üblicherweise noch am gleichen Tag verzehrt werden.

Wenn man sich in eine Kneipe setzt, die von Arbeitern oder Kleinbürgern besucht wird, bekommt man wohl andere Dinge zu hören als in einem noblen Innenstadtcafe beim 5-Uhr-Tee mit gut situierten netten alten Damen.

Wer also „wir“ sind, wird Julian Reichel letztlich ebensowenig wissen wie die Leser dieser Netzseite….

Also müssen wir uns an andere Dinge halten.

Natürlich gab es nach dem Anschlag des Islamisten Anis Amri öffentliche Betroffenheitsbekundungen. Blumen, Kerzen, Stofftiere. Auch so was wie Mahnwachen. Aber eher im kleinen Rahmen. Und nach Hanau? Noch am nächtsten Abend in ganz Deutschland in verschiedenen Städten etliche tausend Demonstranten „gegen rechts“. Hochrangige Politiker vor Ort. Laut wurden die Namen der Toten vorgetragen und Bilder von ihnen gezeigt, die man rasch auf kleinere Plakatgröße gebracht hat. Wer hat eigentlich den Toten vom Breitscheidt-Platz Namen und Gesichter gegeben?

Und den Angehörigen und den überlebenden Betroffenen von Hanau wurde – was natürlich angemessen und richtig ist – rasche und unbürokratische finanzielle Hilfe zugesagt. (Eine Zusage, die man wohl mindestens unter öffentlichem Druck auch einhalten wird.) Wie sah das mit den Angehörigen und überlebenden Betroffenen vom Breitscheidt-Platz aus?! Da war’s wohl eher nix; zumindest bestimmt nicht rasch und unbürokratisch!

Es ist schlimm genug, daß es in unserem Land „Opfer erster und Opfer zweiter Klasse“ gibt. Sollte eigentlich nicht sein. Noch schlimmer aber ist, wenn jemand wie dieser Reichel uns auch noch weismachen möchte, daß die „Opfer erster Klasse“ schlechter behandelt werden würden als die
„zweiter Klasse“.

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