Am vergangenen Sonnabend, dem 15. September, fand in Potsdam eine NPD-Demonstration statt. Oder, richtiger gesagt: Sie fand nicht statt. Zwar versammelten sich nach polizeilicher Zählung 81 Anhänger der NPD am Bahnhof, aber sie kamen keinen Meter weit, weil ungefähr 2.000 (nach anderen Quellen ungefähr 2.500) Gegendemonstranten nicht nur die angemeldete Wegstrecke, sondern auch alle anderen vom Bahnhof wegführenden Straßen blockiert hatten.

Jetzt ist die Gewerkschaft der Polizei (GdP) aktiv geworden. Ihr Brandenburgischer Landeschef Andreas Schuster wirft dem Innenministerium und der Polizeiführung vor, unzulässig Einfluss ausgeübt zu haben, damit die Polizei das verfassungsgemäße Versammlungsrecht der NPD nicht durchsetze und Straßenblockaden der Neonazi-Gegner nicht räume. Er erwägt eine Strafanzeige wegen Rechtsbeugung. Allerdings schränkt er ein, daß eine solche Anzeige nur Sinn habe, wenn man die Verantwortung personalisieren könne. Eine Anzeige gegen unbekannt lehnt er ab.

Das Innenministerium hält dagegen, daß alle rechtlichen Vorgaben erfüllt worden seien. Eine Räumung der Blockade sei unverhältnismäßig gewesen.

Nun ist, wie jeder Jurist weiß (und sogar viele Nicht-Juristen wissen) die Verhältnismäßigkeit der Mittel ein recht zentraler Grundsatz behördlichen Handelns. Unverhältnismäßig wäre, um ein grobes Beispiel zu bringen, wenn die Polizei einen nächtlichen Ruhestörer erschießt, damit die Anwohner endlich ruhig schlafen können. Zwar haben die Anwohner ein Recht darauf, ruhig zu schlafen, aber dieses Recht darf nicht mit so drastischen Mitteln durchgesetzt werden. Den Mann erst einmal höflich zu ermahnen und bei fortgesetzter Störung nötigenfalls in Gewahrsam zu nehmen, ist völlig ausreichend.

Aber bei regelmäßiger Wiederholung wird dieser Grundsatz der „Verhältnismäßigkeit“ problematisch. Der Rechtsstaat zeichnet sich dadurch aus, daß er die Rechte der Minderheit gegen die Mehrheit schützt. Darf dieser Rechtschutz versagen, nur weil eine Mehrheit der Minderheit ihre Rechte eben nicht lassen will? Was würde passieren, wenn jeden Freitag eine Million Deutsche vor den Moscheen demonstrieren würden, damit die Moslems nicht ihr vorgeschriebenes Freitagsgebet absolvieren können? Würde die Polizei dann dem Imam und seiner Gemeinde sagen: „Tut uns leid, wir können Ihnen den Weg nicht freimachen, das wäre unverhältnismäßig“? – Wohl kaum!

Das Ziel linker und teilweise auch gutmenschlicher Aktivitäten ist, rechte Demonstrationen unmöglich zu machen. Also eine Minderheit ihrer grundgesetzlich garantierten Freiheit zu berauben.

Besonders pikant ist das im vorliegenden Fall, weil außer den „üblichen Verdächtigen“ in Potsdam auch Oberbürgermeister Jann Jakobs auf der offiziellen Internet-Seite der Stadt zur Gegendemonstration aufgerufen hat. Die NPD hat versucht, ihm dies gerichtlich zu untersagen. Sie scheiterte damit vor dem Verwaltungsgericht Potsdam ebenso wie vor dem gemeinsamen Oberverwaltungsgericht der Länder Berlin und Brandenburg. Mit diesen Beschlüssen hat sich erstmals eine Kommune gegen eine entsprechende Verfügungsklage der NPD durchgesetzt.

Zu welchen Folgen das führt, hat man am vergangenen Sonnabend gesehen.

Da kann man nur hoffen, daß Verwaltungsrichter lernfähig sind. Und man kann nur hoffen, daß die Rechtsabteilung der NPD sich nicht mit ihrer Niederlage im Eilverfahren begnügt, sondern das Hauptsacheverfahren auf Feststellung der Rechtswidrigkeit folgen läßt. Gute Argumente dafür dürfe sie durch die Ereignisse des Veranstaltungstages eigentlich haben.

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