Indymedia wieder im Netz (von Christian Worch)

Vor fast zwanzig Jahren wurde in Hamburg eine Zeitschrift namens „Hamburger Sturm“ verboten. Das als Magazin periodisch erscheinende Blatt war aus dem „Bramfelder Sturm“ hervorgegangen, einem sogenannten Fanzine aus Skinhead-Kreisen. Damals, als das Internet noch in den Kinderschuhen steckte, waren sowohl in der Skinhead-Szene als auch in anderen subkulturellen Kreisen sogenannte Fanzines ein beliebtes Kommunikationsmittel. Der ursprüngliche „Bramfelder Sturm“ hatte den subkulturellen Bereich verlassen und sich politisiert und sein Einzugsgebiet von einem einzelnen Stadtteil auf die gesamte Hansestadt Hamburg erweitert. Womit er den regionalen Herrschenden ein Dorn im Auge wurde, weil er nationalistisch eingestellt war.

Nun ist es im Lichte der grundgesetzlich garantierten Pressefreiheit gar nicht so einfach, eine Zeitung oder Zeitschrift zu verbieten. Deshalb benutzte man einen juristischen Hintertreppentrick, der eigentlich eines Rechtsstaates nicht würdig ist. Strafrechtlich konnte man den Herausgebern und Verbreitern des „Hamburger Sturms“ nichts. Sie hielten sich strikt an die Gesetze; sie waren nur einfach politisch mißliebig. Deshalb machte man kurzerhand aus der Redaktion eine „Vereinigung“ und verbot diese nach dem Vereinsgesetz, mit der Folge, daß die Publikation als „Werbemittel für eine verbotene Vereinigung“ von jetzt auf sofort illegal wurde.

Bis auf eine winzige Handvoll radikal rechter Dissidenten störte das niemanden.

Siebzehn Jahre später.

Seit etwa 1999 gibt es eine Netzquelle „indymedia“, auch als „linksunten“ bekannt. Sie ist sehr offen. Wer nicht als „Fascho“ verdächtig ist, kann da posten, was er möchte; einschließlich Anleitungen zum Bombenbau oder Gewaltaufrufe „gegen Bullen“ oder sonstige mißliebige Menschen.

Lange Zeit ging das aus Sicht der linken Betreiber gut oder eher sehr gut. Bis diese den Fehler machten, eine von ihnen erbeutete Liste von Delegierten eines Bundesparteitages der AfD ins Netz zu stellen; rund zweitausend Adressen. Die Intention dahinter war angesichts der Gewalt-Affinität von „indymedia“ recht klar: Man wollte wohl, daß diese Frauen und Männer zu Zielscheiben in ihrem privaten Umfeld würden. Dagegen ging die AfD, inzwischen im Bundestag vertreten, mit kleinen Anfragen an die Bundesregierung vor. Und das erzeugte politischen Druck.

Dieser Druck führte vor knapp zweieinhalb Jahren zu einem „Verbot“ von „indymedia“.

Formaljuristisch wurde natürlich nicht die Plattform, die schließlich unter dem Schutz der Pressefreiheit stand, verboten. Es wurde aus den tatsächlichen oder vermeintlichen Betreibern, gewissermaßen der Redaktion, einfach eine Vereinigung gemacht, genau so wie damals beim „Hamburger Sturm“, und diese nach dem Vereinsgesetz verboten. Es gab in Freiburg, wo offenbar das Zentrum von „indymedia“ verortet wurde, Hausdurchsuchungen bei fünf Privatpersonen und in einem linksalternativen Jugendzentrum. Es wurden Computer und Datenträger sichergestellt. Und natürlich die Verbotsverfügung an die vermeintlichen Vereinsmitglieder zugestellt.

Diese sahen sich so wenig als Verein wie beispielsweise die Redaktion des Wochenmagazins „DER SPIEGEL“ sich als Verein sehen würde. Aber jetzt waren sie in einer Zwickmühle, die die rechte Szene nur zu gut kennt. Ein fiktiver Verein wird nach dem Vereinsgesetz verboten, mit der Folge, daß niemand mehr für diesen Verein tätig werden, für ihn Werbung machen darf, ohne strafrechtlich verfolgt zu werden. Aber wenn die Betroffenen vor dem Bundesverwaltungsgericht klagen, müssen sie ja im Prinzip zugeben, einen Verein gebildet zu haben; sonst wäre die Klage nicht zulässig. Eine Lücke im Gesetz, die von den Herrschenden gern ausgenutzt wird.

Da gilt dann der Grundsatz: Macht bricht Recht! – Oder für Bildungsbürger, die noch der lateinischen Sprache mächtig sind: „Inter arma silent lege!“ – Unter den Waffen schweig das Gesetz!

Zwei dieser fünf Linken jedenfalls klagen vor dem Bundesverwaltungsgericht. Es sollte vor rund einem Jahr schon die mündliche Verhandlung angesetzt werden; das wäre dann fast anderthalb
Jahre nach dem Vereinsverbot gewesen. Aus „organisatorischen Gründen“ sagte das Gericht den Termin aber ab. Jetzt ist ein neuer angesetzt worden, für den 29. Januar 2020.

Kurz davor, vor jetzt wenigen Tagen, haben Unbekannte ein wenig Druck in die Angelegenheit gebracht. „Indymedia“ ist wieder am Netz. Zumindest der „historische“ Teil, das Archiv mit ungefähr 200.000 Beiträgen. Viele davon enthalten auch Aufrufe zu Gewalttaten und sind damit völlig unabhängig von dem „Vereinsverbot“ sowieso illegal und strafbar. Das Einstellen neuer Artikel ist allerdings derzeit offenbar nicht möglich.

Ob das auf die in wenigen Tagen stattfindende mündliche Verhandlung einen Einfluß haben wird, ist unklar. Aber jedenfalls bringt es den Fall wieder in die öffentliche Diskussion. Das dürfte die Absicht der Täter gewesen sein.

Die Entscheidung selbst dürfte nicht allein für die militante linke Szene von Interesse sein, sondern ebenso für das radikal rechte Lager, das im Laufe der Jahrzehnte unter Vereinsverboten ungleich viel mehr zu leiden hatte als die deutsche Linke oder Vereine von Ausländerextremisten oder Islamisten. Mit dem „Indymedia“-Vorgang vor zweieinhalb Jahren hat ein deutsches Bundesinnenministerium erstmals einen deutsche linksextremistische Vereinigung verboten. (RAF, Bewegung 2. Juni oder „Revolutionäre Zellen“ sind niemals nach dem Vereinsgesetz verboten worden, weil sie ohnehin terroristische Vereinigung waren, was natürlich juristisch erheblich schwerer wiegt.)

Der Ausgang wird für uns in jedem Fall von Vorteil sein.

Bestätigt das Bundesverwaltungsgericht trotz öffentlichen Drucks von Linken diverser Schattierungen dieses Vorgehen, kann die militante Linke sich warm anziehen: Dann war „Indymedia“ nur der erste Streich, und je nach Lästigkeit oder politischer Konstellation werden weitere folgen. Gewinnen die beiden Kläger jedoch, gibt es damit ein Präzedenzurteil gegen für die Zukunft zu erwartende weitere Vereinsverbote „gegen rechts“.

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