Genozid und Genozid

Das EU-Parlament hat Rußland in einer Resolution zum „Terror-Unterstützungs-Staat“ erklärt. Noch weiter geht die slowakische Zeitung „Dennek N“. Das außerhalb der Slowakei nicht sonderlich bekannte Blatt erklärt die Bombardierung ziviler Infrastruktur in der Ukraine durch Rußland „zum Genozid“. Begründung: Genozid sei nicht allein die vollständige oder versuchte Ausrottung eines Volkes, sondern auch von Teilen eines Volkes.

Dabei kommt uns dann der mehr als zwanzig Jahre währende Kampf der USA gegen den damaligen irakischen Präsidenten Saddam Hussein ins Gedächtnis. Abgesehen von den eigentlichen Kampfhandlungen in den Jahren 1991 und 2003 gab es in diesem Zusammenhang ein endlos langes Embargo das zum Tod von schätzungsweise einer halben Million irakischer Kinder führte.

Die frühere US-Außenministerin Madeleine Albright bezeichnete das als „tragbaren Verlust“. Diese Kaltschnäuzigkeit wurde auch nicht dadurch gemildert, daß sie die Äußerung in ihrer Autobiographie später als „politischen Fehler“ bezeichnete. Damit gab sie ja zu erkennen, daß sie es nicht etwa für falsch hielte, sondern daß es ein Fehler gewesen sei, das so offen zuzugeben…

Nun muß man eine runde halbe Million Todesopfer mal in einen Vergleich zur Einwohnerzahl setzen. Die liegt aktuell im Irak knapp über 40 Millionen; fast exakt so hoch wie in der Ukraine, nebenbei bemerkt. Wie viele Zivilisten in der Ukraine seit Ende Januar durch Bomben, Raketen und Granaten umgekommen sind, weiß man nicht so genau; eine sechsstellige Zahl wird wohl mit Sicherheit nicht erreicht sein. Und auch dann nicht erreicht werden, wenn der Ukraine – zumindest in Landesteilen – durch Stromausfall ein kalter, dunkler Winter bevorsteht.

Da wäre es dann vielleicht mal an der Zeit, daß das EU-Parlament Mut zeigt und das damalige US-Embargo gegen den Irak „zum Genozid“ erklärt. Aber das kann noch eine ganze Weile dauern.

Der türkische Völkermord an den Armeniern wurde in Deutschland beispielsweise erst 2016, hundert Jahre danach, durch Resolution des Bundestages als Völkermord anerkannt. Bis zu einer entsprechenden Resolution gegen die USA kann es dort also noch zum Heranwachsen von vielleicht drei, vier Generationen kommen.

Bei Rußland wird das nicht ganz so lange dauern, ist zu erwarten. Außer vielleicht, wenn die Russen in der Ukraine siegen und danach deutlich machen, daß sie eine solche Einschätzung ohne gleichzeitige Verurteilung der USA als „kriegerischen Akt“ ansehen und mit militärischen Mitteln ahnden würden. Dann werden vielleicht das EU-Parlament oder der Deutsche Bundestag ein wenig vorsichtiger sein!

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