Bedrohlichkeiten (von Christian Worch)

In manchen Kreisen scheint es modern zu sein, von Neonazis oder Rechtsextremisten bedroht zu werden, möglicherweise sogar mit dem Tode. Gab es das früher in dem Umfang nicht? Oder wurde weniger darüber berichtet? Haben vielleicht gar Betroffene das nicht so ernst genommen, nach dem Motto, „Hunde, die bellen, beißen nicht“? Und haben es dann einfach mit einem verächtlichen Lächeln übergangen, ohne es an die mediale Glocke zu hängen?

Dinge, die man nicht weiß. Da gibt es wohl keine Statistik. Und wenn es doch eine geben sollte, dann hat die wahrscheinlich, wie Kriminologen es nennen, ein großes „Dunkelfeld“.

Aber irgendwie ist das in den letzten Monaten schon auffällig, daß entsprechende Meldungen immer mehr werden.

Da gibt es dann – höchst vereinzelt – Kommunalpolitiker, die aus Angst um sich oder ihre Familie ihr Amt niederlegen. Da bekommt sogar Kevin Kühnert von den JUSOS Morddrohungen, wo man sich nun wirklich fragt, ob die noch von erklärten SPD-Feinden stammen können. Denn wenn man der SPD Böses will, dann müßte man solchen Leuten wie Kevin Kühnert ein laaaaanges, laaaaaanges Leben bei bester Gesundheit und Leistungskraft wünschen, da sein Wirken durchaus mit dazu beitragen könnte, die SPD endlich mal unter die Fünf-Prozent-Hürde zu drücken, der sie sich ja immer mehr nähert.

Oh, und nicht zu vergessen ein freier WDR-Mitarbeiter, der auf die angeblich ach so satirische Hetze gegen Omas als Umweltsäue noch einen draufsetzte, daß Oma keine Umweltsau, sondern eine Nazi-Sau sei! Sogar der Polizeipräsident von Oldenburg, der im Gegensatz zu Bürgermeister Landscheid ja schon befugter Waffenträger ist, bekommt Morddrohungen, weil er AfD-Spitzenleute wie Frau Weidel oder Herrn Gauland mit noch vergleichsweise gemäßigten Worten kritisiert hat.

Wenn’s nicht zynisch wäre, könnte man sagen, in gewissen politischen Kreisen ist das heutzutage vielleicht eine Art Statussymbol, möglicherweise auch eine Art von Qualitätsnachweis, daß man Morddrohungen „von rechts“ bekommt. Egal, wie ernst diese zu nehmen sind.

Interessant aber ist, daß es außer den Bekundungen der Betroffenen darüber für die breite Öffentlichkeit üblicherweise keinen weiteren Nachweis gibt. Und das, wo Nachrichten wie e-mails, Twitter-tweets oder dergleichen heutzutage ungleich viel leichter mit beinahe beliebig vielen Empfängern geteilt werden können, als man vor dreißig Jahren oder so einen Brief photokopiert und an ein paar Leute geschickt hat….

Interessant ist im Falle des Kamp-lintforder Bürgermeisters Landscheid, daß er einerseits eine öffentliche Gerichtsverhandlung vor dem Verwaltungsgericht anstrebt, um einen Waffenschein zu erlangen, andererseits aber ursprünglich doch lieber anonym bleiben wollte, bis DIE RECHTE ihn und den behaupteten Hintergrund seines Bedrohungsszenarios öffentlich gemacht hat.

Kaum weniger interessant ist, daß er geltend macht, er sei (mehrmals!) in bedrohlichen Situationen gewesen, wo die Polizei erst mit Verspätung erscheinen konnte. Da die Polizei zum Erreichen ihrer Einsatzorte auf herkömmliche Kraftfahrzeuge angewiesen ist und sich nicht, wie bei Raumschiff „Enterprise“ beamen lassen kann, ist so etwas nun durchaus möglich. Interessierte Beobachter müssen allerdings bemängeln, daß die Angaben ein wenig vage bleiben. Aber nicht mehr lange hin, und es wird (in öffentlicher Verhandlung!) vor dem Verwaltungsgericht Düsseldorf geklagt. Da wird Herr Langscheid dann wohl Farbe bekennen müssen, damit die Verwaltungsrichter urteilen können, für wie bedrohlich sie halten, was ihm zugestoßen ist.

Man muß die Sache allerdings fairerweise auch von der anderen Seite her sehen, nicht nur von der der angeblich oder tatsächlich Betroffenen, sondern auch von der der Täter.

Ein Täter hat üblicherweise ein Motiv. Eine Straftat ohne Motiv ist entweder keine Straftat oder zeugt davon, daß der Täter eher einen mentalen Defekt hat als kriminelle Energie. (Was Bürgermeister Prof. Dr. Landscheid übrigens wissen sollte; der Mann ist Jurist, nicht nur ein promovierter, sondern sogar ein habilitierter, mit Professorentitel!)

Das Motiv von jemandem, der – vorzugsweise natürlich anonym! – Drohungen ausspricht, ist entweder, jemanden für ein vermeintliches Fehlverhalten zu „bestrafen“, indem man ihn beunruhigt oder gar ängstigt, oder aber ihn zu einem Tun oder Unterlassen zu bewegen.

Je eher ein tatsächlicher oder potentieller Bedroher den Eindruck hat, daß seine Drohung „ankommt“, „ernst genommen wird“, desto mehr ist er geneigt, von dieser sowohl unfreundlichen als auch rechtswidrigen Verhaltensweise Gebrauch zu machen.

Zu den „Drohungen“, die ich im Laufe meines politischen Lebens erhalten habe, gehörte vor rund einem Dutzend Jahren ein mutmaßlich türkischer Anrufer, der mir erzählte, er werde meine Mutter fi…en. Ich sagte ihm, tut mir leid für die, aber die ist seit 1990 tot. – Das hinderte ihn nicht, mir ein paar Tage später den gleichen Text am Telefon zu übermitteln. Ich wiederholt, tut mir leid für dich, geht nicht, die ist schon lange tot. Und dann noch ein drittes Mal. Aber der Mann war offenbar merkbefreit; ihm dreimal mitzuteilen, daß meine Mutter nun mal leider tot sei und daher für seine böse Absicht nicht mehr verfügbar sei, war nicht ausreichend. Bei seinem vierten Anruf sagte ich daher nur noch in nachgemachter „Kanak-Sprak“: „Ich weiß, wo dein Haus wohnt!“ Von dem Mann habe ich nie wieder was gehört.

Oder vor anderthalb Jahren im Sommer. Da war ich mit dem Fahrrad in der Parchimer Weststadt unterwegs. Zugegebenermaßen auf dem Bürgersteig, was so ja nicht seine Richtigkeit hat. Aber wenn ich schon einen höchst niederschwelligen Verkehrsverstoß begehe, dann natürlich mit gebotener Rücksicht: Ich radele langsam und achte sorgsam darauf, keine Fußgänger zu gefährden oder auch nur zu behindern. Und mein schlechtes Gewissen wird dadurch gemildert, daß so eine kleine Radtour ja viel umweltfreundlicher ist, als wenn ich das Auto benutzen würde. – Trotzdem hörte ich hinter mir eine Bemerkung: „Den kleinen Mann müßte man eigentlich vom Rad heruntertreten!“

Nun war ich neugierig, ob da jemand Kritik daran üben wollte, daß ich den Bürgersteig statt der Fahrbahn benutzt habe, oder ob es vielleicht andere Gründe für die unfreundliche, ja, geradezu potentiell bedrohliche Äußerung gab. (Jemanden von seinem Fahrrad herunterzutreten kann ja nun mit Verletzungen verbunden sein! Es weiß halt nicht jeder, daß ich als früherer Judoka kaum imstande bin, mich bei einem Sturz ernsthaft zu verletzen.) Also bremste ich, stellte mein Fahrrad ab, um die Hände frei zu haben, und dreht mich um.

Vor mir war einer, der knapp halb so alt, aber beinahe doppelt so breit war wie ich und ein T-Shirt mit FCK NZS trug. (Nur daß er mich als kleinen Mann bezeichnet hatte, fand ich ein wenig herabsetzend; er war wohl zwei oder drei Fingerbreit kleiner als ich.) Also kein gewöhnlicher
Fußgänger, der sich davon gestört fühlte, daß ein Radfahrer SEINEN Bürgersteig benutzte, sondern jemand mit einer politischen „Agenda“. Was mich zu der Bemerkung bewog: „Ach, ein Fall von politischer Animosität….“

Jetzt hätte der gute Mann ja Gelegenheit gehabt, seiner Abneigung durch körperliche Aggression Ausdruck zu verleihen. Aber das wollte er dann wohl doch nicht.

Herr Prof. Dr. Landscheid hätte das vielleicht als Bedrohung wahrgenommen…. Und es bedauert, daß es in einem solchen Fall wohl selbst bei sofortigem Notruf an die Polizei locker fünf Minuten gedauert hätte, bis ein Streifenwagen eingetroffen wäre. (Ich hatte nicht mal ein Mobiltelefon dabei, und selbst wenn, hätte ich nun wirklich keinen Anlaß gesehen, vom Notruf Gebrauch zu machen.) Aber vielleicht hat Herr Prof. Landscheid in jungen Jahren mehr Jura-Seminare besucht, während ich Judo trainiert habe, und hätte sich deshalb nicht imstande gesehen, mit einem möglicherweise aggressiven Mann umzugehen, der vielleicht das Doppelte seines Kampfgewichts hat.

Ich für meinen Fall habe mich nicht bemüßigt gesehen, auch nur einen „kleinen Waffenschein“ zu beantragen, geschweige denn einen richtigen, inzwischen auch als „großen Waffenschein“ bezeichnet. Vielleicht ist das alles einfach eine Frage der mentalen Einstellung.

Und da fragt man sich, ob Leute, die damit hausieren gehen, sie würden „von rechts“ bedroht, nicht eine völlig andere Agenda verfolgen. Und sei es nur die, eine bei ihnen unerwünschte politische Strömung zu diskreditieren.

Umgekehrt ist die Vorstellung, daß vielleicht wirklich Leute, die im allerweitesten Sinne uns politisch nahestehen, von solchen Mitteln der Einschüchterun Gebrauch machen, auch unerfreulich.

Es wäre vielleicht an der Zeit, daß da mental ein wenig abgerüstet wird. Von allen Seiten.

Aber angesichts der derzeitigen gesellschaftlichen Spaltung, die sicherlich in den nächsten Jahren eher noch schlimmer als besser werden wird, ist das höchstens ein frommer Wunsch. Schade eigentlich.

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