Der Präsident der Bundesrepublik ist ein Staatsorgan. Auch wenn er im Vergleich zu seinen Amtskollegen in alteingesessenen Demokratien wie Frankreich oder den USA nicht sehr viel mehr zu sagen hat als ein Fliegenschiß. Das haben die Väter und Mütter des Grundgesetzes bewußt so eingerichtet, um zu verhindern, daß ein neuer Hindenburg einen neuen Hitler zum Kanzler macht.

Von daher also hat der Präsident nahezu ausschließlich repräsentative Funktionen. Seine einzige reale Macht ist, daß er sich weigern kann, Gesetze zu unterschreiben, und daß er Straftäter begnadigen darf; wobei letzteres für die breite Bevölkerung eigentlich eher unwichtig ist, sondern allenfalls für Leute, die sich mal eine Verurteilung gefangen haben. Aber egal, wie schwach das Amt ausgestattet ist, wie politisch unbedeutend sein Inhaber ist, er ist immerhin ein Staatsorgan.

Und als solches ist er, wie alle Staatsorgane, zur parteipolitischen Neutralität verpflichtet.

Außer natürlich, wenn es „gegen rechts“ geht, wie das Bundesverfassungsgericht am Dienstag, dem 10. Juni 2014, verkündet hat. Sinnigerweise nach Pfingsten, das im christlichen Religionskalender das Fest der „Ausgießung des Heiligen Geistes“ ist. Ob das Bundesverfassungsgericht damit Geist ausgegossen hat, geschweige denn gar heiligen, mögen gläubige Christen entscheiden.

Worum es ging?

Im Spätsommer 2013 hatte Bundespräsident Gauck bei einer öffentlichen Diskussion mit Schülern mit Blick auf von der NPD beeinflußte Demonstranten vor einem Berliner Asylbewerberheim gesagt, man solle „den Spinnern“ entgegentreten. Im Zusammenhang einwandfrei erkennbar war, daß damit Anghörige bzw. Anhänger oder Sympathisanten der NPD gemeint waren. Woraufhin die NPD Organklage gegen das genannte Staatsorgan erhob, um höchstrichterlich feststellen zu lassen, daß Herr Gauck mit einer solchen Äußerung den Boden der gebotenen Neutralität verlassen hat. Was für den Laien ziemlich erkennbar ist, denn es ist nichts darüber bekannt, daß der Präsident jemals Angehörige oder Anhänger und Sympathisanten irgendeiner anderen politischen Partei so genannt hat.

Das Verfassungsgericht sah das anders als die NPD. In der Begründung äußerte der Präsident des Gerichts, Richter Voßkuhle, die Bezeichnung Spinner könne, isoliert betrachtet, durchaus als diffamierend betrachtet werden. Zulässig sei sie aber, verkürzt ausgedrückt, als Sammelbezeichnung von Menschen, die nach Gaucks Ansicht die Lehren aus der nationalsozialistischen Geschichte nicht gezogen hätten.

Na, wenn die Meinungsfreiheit – gerade auch des zur Neutralität verpflichteten Bundespräsidenten – so weit geht, dann sollte der Normalbürger sich mal interessiert fragen, das denn passiert, wenn er einen solchen Präsidenten als Hetzer bezeichnet und so ein Fall mal bis zum Karlsruher Höchstgericht gelangt… Wäre schon mal interessant zu wissen.

Letztlich aber wird man die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wahrscheinlich, juristisch bewertet, aus einem ganz anderen Blickwinkel betrachten müssen. Nämlich als Ausdruck einer stillen Wut, daß das genannte Gericht sich gerade bezüglich des laufenden Verbotsverfahrens gegen die NPD in einer sehr mißlichen Lage sieht. Gut vorstellbar, daß eine Mehrheit des entscheidungsbefugten Senats die NPD gern verboten sehen würde, aber eben auch mit dem gravierenden Risiko, daß aufgrund einer mehr an realer als an abstrakter Gefahr orientierten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte eine solche Entscheidung aus Karlsruhe nicht haltbar sein wird. Da mag es Verfassungsrichtern ein kleiner Trost sein, durchgehen lassen zu können, daß der Präsident dieser bunten Republik, äh, Bundesrepublik die NPDler als Spinner bezeichnen darf.

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