Nein, es folgt jetzt keine Rezension über Fjodor Dostojewskis Roman. Es folgen stattdessen ein paar Anmerkungen über einen durchaus noch lebendigen Zeitgenossen, den Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland, Herrn Nikolaus Schneider.
Herr Schneider ist kraft Amtes entweder bibelfest oder kann mindestens lesen, vorzugsweise in der Bibel, die für Christen das „Buch der Bücher“ ist und daher bei Gläubigen natürlich bevorzugte Aufmerksamkeit verdient. So liest er dann jeden Morgen dortselbst die Tageslosung. Die von gestern entnahm er Hesekiel (33,12).“…und wenn ein Gottloser fromm wird, so soll’s ihm nicht schaden, daß er gottlos gewesen ist.“
Gerade in London befindlich, meint Herr Schneider, dies auf die Ruderin Nadja Drygalla beziehen zu dürfen. Allerdings, meint er, verlange die Bibel einen echten Sinneswandel. Die Umkehr, wie sie bei der Ruderin möglich und zu verlangen sei, müsse „tatsächlich errungen und ernst gemeint sein“, mahnt er nach einem Bericht der WELT. Gewissermaßen nebensätzlich erwähnt er, daß Frau Drygalla natürlich nicht in Sippenhaft für ihren Freund genommen werden dürfe.
Bitte wie?!
Was ist der Olympionikin eigentlich bisher vorgeworfen worden, außer daß sie einen politisch nicht korrekten Freund hat? Was soll sie selbst gesagt oder getan haben, was verwerflich sein soll? Wo, bitteschön, soll sie also „umkehren“, von der „Gottlosigkeit“ zur „Frömmigkeit“ wechseln?
Dem theoretisch ranghöchsten evangelischen Christen der BRD scheint ein wenig der Überblick abhanden gekommen zu sein. Vielleicht sollte er statt der biblischen Tageslosung häufiger mal eine Tageszeitung lesen, um auf dem Laufenden zu bleiben. Oder er sollte sich nicht einseitig die ihm gerade genehm erscheinenden Bibelstellen aussuchen. Zu empfehlen wäre ihm da ein Kernstück des „Buches der Bücher“, das achte der zehn Gebote: „Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten!“ Gilt übrigens nach moderner theologischer Auslegung nicht nur für den (männlichen) Nächsten, sondern auch für die (weibliche) Nächste. Gegen dieses achte Gebot hat der fromme Kirchenmann zum Nachteil von Frau Drygalla offenbar verstoßen.
Er möge also Buße tun! Vorzugsweise öffentlich, versteht sich.
Wenn er schon dabei ist, kann er natürlich ganz im Sinne der heutigen politischen Ansichten noch ein klein wenig weitergehen. Indem er stellvertretend für verblichene Brüder in Christo Buße tut; beispielsweise für den Begründer seiner Konfession, Dr. Martin Luther, und für August Friedrich Karl Marahrens, ehedem Landesbischof von Hannover. Konfessionsstifter Dr. Luther hat bekanntlich mit „Von den Jüden und iren Lügen“ ein heftig antisemitisches Werk verfaßt, während Exzellenz Marahrens nach dem Attentat vom 20. Juli 1944 Gott dankte, daß dieser „unseren Führer bei dem verbrecherischen Anschlag Leben und Gesundheit bewahrt und ihn unserem Volk in einer Stunde höchster Gefahr erhalten habe“.
Beides ist ja wohl erheblich heftiger als alles, was Nadja Drygalls Freund Michael Fischer jemals von sich gegeben hat, von der in dieser Hinsicht völlig unbelasteten Ruderin mal ganz zu schweigen.
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