Lustig ist das Putschistenleben… (von Christian Worch)

Beinahe wäre ich Enkel eines Putschisten geworden. Als am 14. März 1920 in Köln meine Mutter geboren wurde, fand in Berlin gerade der Kapp-Putsch (Kapp-Lüderitz-Putsch) statt. Mein Großvater war führender Anhänger des Wehrverbandes STAHLHELM, der in Köln bereit stand, die Reichsregierung Kapp erforderlichenfalls mit bewaffneter Gewalt vor Ort zu unterstützen. Der Putsch war allerdings nicht erfolgreich. Es war nicht die Reichswehr, die ihn niederschlug, und auch nicht die Polizei, sondern der Generallandschaftdirektor Kapp, der General Lüderitz, der Kommandeur der „Marinebrigade Ehrhardt“ und die anderen Putschisten scheiterten an dem eher zivilen Instrument des Generalstreiks. Die „Reichsregierung Kapp“ war so kurzlebig (ca. 100 Stunden), daß sich für die Kölner Angehörigen des STAHLHELM keine Gelegenheit oder Notwendigkeit ergab, ihr in der rheinischen Gegend mit bewaffneter Gewalt beizustehen. Mein Großvater wurde damit nicht zum Putschisten und ich nicht zum Putschisten-Enkel. Abgesehen davon, daß ich bei einem erfolgreichen Kapp-Putsch möglicherweise dann später nicht als der geboren worden wäre, der ich nun einmal geworden bin…. Aber in der Weimarer Zeit gehörte es beinahe schon zum guten Ton, zu putschen. Wobei vergleichbare Aktivitäten „von links“ als Aufstand deklariert wurden; nur „rechts“ gab es die echte Putschisten. Rund zweieinhalb Jahre nach dem Generallandschaftsdirektor Kapp (als dieser bereits krankheitsbedingt verstorben war, bevor gegen ihn ein Prozeß stattfinden konnte) gab es einen weiteren Versuch in München, veranstaltet von Adolf Hitler, General Ludendorff (der bereits beim Kapp-Putsch beteiligt gewesen war) und Männern wie den Generalen Lossow und von Kahr.

Obwohl den bayerischen Putschisten einige tausend bewaffnete und kriegserfahrene Männer zur Verfügung standen, scheiterte ihr Putsch vor der Feldherrenhalle im Feuer der bayerischen Landespolizei. Vier Landespolizisten starben dabei, ein unbeteiligter Schaulustiger und fünfzehn Putschisten. Die Folgen für die Teilnehmer beider Putsche waren überschaubar. Für den Kapp-Putsch wurde nur ein einziger Mann „richtig“ verurteilt, nämlich zu fünf Jahren Festungshaft. Zwei weitere Angeklagte wurden freigesprochen. Kapp selbst hatte sich nach ursprünglicher Flucht ins Ausland im April 1922 (zwei Jahre danach) dem Reichsgericht gestellt, war damals aber bereits todkrank und verstarb im Juni 1922, bevor ihm der Prozeß gemacht werden konnte.

Im Falle des späteren Reichskanzlers Adolf Hitler lautete die Strafe auf fünf Jahre „Ehrenhaft“ (wie Festungshaft damals genannt wurde), von denen er neun Monate in Landsberg am Lech verbrachte, dort sein Buch „Mein Kampf“ schrieb und dann wegen guter Führung vorzeitig entlassen wurde.

Putsche – zumindest von rechts – gehörten irgendwie zum guten Ton. Es mag vor rund hundert Jahren daran gelegen haben, daß damals so gut wie ausschließlich Richter im Amt waren, die noch in Zeiten von Kaiser Wilhelm dem Zweiten ins Amt gekommen waren. Aber selbst das die Weimarer Republik 1933 ablösende Dritte Reich erlebte einen Putsch. Im Juli 1944 lief „Operation Walküre“ an. Beteiligt waren hohe Offiziere und Generale. Nachdem allerdings ein Anschlag auf Kanzler und Führer Hitler gescheitert war und Hitler nur leicht verletzt überlebt hatte, war dieser Putsch auch von sehr, sehr kurzlebiger Dauer. Die Walküren hatten später vornehmlich damit zu tun, im Kampf gefallene oder später erschossene oder nach Verurteilung hingerichtete Putschisten nach Walhall oder sonstwohin zu geleiten. Wobei man den „Männer des 20. Juli“ konzedieren muß, daß sie immerhin mannhaft und tapfer fielen; der gescheiterte Mörder Claus Schenck Graf Stauffenberg soll vor dem Erschießungskommando im Bendler-Block die letzten Worte gerufen haben: „Es lebe das heilige Deutschland!“ (Andere Quellen berichten als seine letzten Worte: „Es lebe das geheime Deutschland!“)

Obwohl die Widerständler gegen Hitler und den Nationalsozialismus später zu Helden der BRD stilisiert wurden, blieb die BRD lange Zeit putschfrei. In ihren ersten sechs Jahren (von ihrer Begründung 1949 bis zur Wiederbewaffnung im Jahre 1955) wäre ein Putsch allein deshalb schwer möglich gewesen, weil es kein Militär gab…. Aber auch nach 1955 erschien das nicht als ernstliche Option. Die gerade ins Grundschulalter gekommene BRD war fest in das westliche Bündnissystem eingebunden; zudem hatte das Wirtschaftswunder begonnen, der Bevölkerung ging es zunehmend gut; wer also hätte ein Interesse an einem Putsch haben können? Die linke Terrororganisation „Rote Armee-Fraktion“ (RAF) forderte zwar immerhin 34 Todesopfer (von ihren eigenen Toten abgesehen), aber das war ja nun kein Putsch; die RAF konnte niemals Militär für sich mobilisieren. Und daß die K-Gruppe „Kommunistischer Bund Westdeutschland“ „Gewalt unterhalb der Schwelle bewaffneter Gewalt“ propagierte (ohne daß es deshalb Prozesse oder ein Organisationsverbot gegeben hätte), blieb insofern glücklicherweise folgenlos. Und auch das hatte ja mit Putsch im eigentlichen Wortsinn nichts zu tun. Erst in jüngerer Zeit scheint das politische Gestaltungsinstrument des Putsches wieder in Mode zu kommen.

Da hatten wir eine Gruppe in Chemnitz, so ungefähr sieben Mann mit einem Luftgewehr, die die Bundesregierung stürzen wollte. Das kann man nicht sonderlich ernst nehmen. Wenn ein gewalttätiger Mensch mit einem Luftgewehr einem Opfer ein Auge ausschießen kann, muß er schon viel Glück (und das Opfer viel Pech) haben; für ein Tötungsdelikt wäre ein herkömmliches Küchenmesser wohl geeigneter als dieses noch nicht wirklich illegalisierte Schießgerät.

Auch eher Heiterkeitsfaktor hatte eine 75-jährige Dame mit Kartoffelsack, die angeblich oder tatsächlich Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach entführen und auch ansonsten einen Bürgerkrieg in der BRD auslösen wollte. Allein schon die Vorstellung, diesen Minister zu entführen, erscheint eher ein Fall für einen Nervenarzt als für den Staatsanwalt. Ob die SPD für Karl Lauterbach Lösegeld bezahlen würde? Oder ob eher die Sozen den Entführern Geld dafür bezahlen würden, den Entführen lieber zu behalten, damit er im Sinne der Ampel-Regierung keinen weiteren Schaden mehr anrichten kann?

Aber der aktuellste „Putschversuch“ hat immerhin ein paar Protagonisten, die zumindest als theoretische Schwergewichte gelten dürfen. Da hätten wir einmal den Mann, den die BILD-Zeitung plakativ den „Terror-Prinzen“ nennt. Heinrich XIII Prinz Reuß soll von einer terroristischen Vereinigung, die angeblich Putsch-Pläne hatte, als Nachfolger von Olaf Scholz vorgesehen gewesen sein. Angeblich gab es in deren Schattenregierung auch eine designierte Justizministerin; eine Richterin am Landgericht Berlin, die immerhin zwischen 2017 und 2021 einmal für vier Jahre auf dem Ticket der AfD Angehörige einer gesetzgebenden Körperschaft (des Deutschen Bundestages) gewesen war. Zu den 25 bei einer Razzia am 7. Dezember (einen Tag vor dem bundesweiten „Warntag“) festgenommenen Personen gehörte eine weitere Juristin, eine Ärztin sowie als Vertreter des „Bewaffneten Arms“ zwei KSK-Angehörige, der eine wohl schon pensioniert und im gleichen Alter wie der „Terror-Prinz“ (71 Jahre), der andere noch im aktiven Dienst, immerhin ein früherer Bataillionskommandeur der Fallschirmjäger, dessen Bataillion in den frühen 90-er Jahren mit den Grundstock für das „Kommando Spezial-Kräfte“ (KSK) gelegt hat. Auch ein Ex-Polizist soll dazugehört haben. Das ist eine etwas andere Kategorie als bier-affine Skinheads oder frustrierte Vorstadt-Jugendliche mit Baseballschlägern. Das repräsentiert immerhin die Mitte der Gesellschaft und weist zumindest potentiell militärische Kapazität auf.

Daß 25 oder 54 Menschen schwerlich ausreichen, die Regierung zu stürzen, den Bundestag zu stürmen und ähnlich spaktakuläre Aktionen zu unternehmen, liegt allerdings auf der Hand. Und daß die Gruppe kein echtes Gefahrenpotential darstellt, ist auf eine irgendwie komische Weise dokumentiert. Eine Menge Presseorgane wußten schon zwei Wochen vorher von dem geplanten Zugriff. Und zwar mit allen Details: Namen und Wohnanschriften der Betroffenen, Datum und Uhrzeit! So stand dann der Kameramann des Senders RTL nur etwa zwei Meter neben dem vermummten und gepanzerten und mit der HK MP 5 ausgerüsteten Elite-Polizisten, der die Erstürmung eines Reihenhauses vom Bürgersteig aus absicherte. Was denn, wenn diese Leute wirklich gefährlich gewesen wären und die breit gestreute Information zu ihnen durchgedrungen wäre? Nachvollziehbar, daß die „Berliner Zeitung“ die Aktion mit immerhin bundesweit dreitausend (!) Polizisten vor allem „einen amüsanten PR-Coup der Behörden“ nennt. Wobei man sich über das Wort „amüsant“ streiten kann. PR-Coup hingegen ist treffender als eine Garbe 9-mm Geschosse aus so einer HK 5!

Das alles hat in der Tat eher operettenhafte Züge. Namentlich dann, wenn man es mit dem vergleicht, was Deutschland so an (allerdings auch gescheiterten) Putschversuchen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erlebt hat.

von Christian Worch

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