Liebe Antifa`s

Liebe Antifas,

jetzt habt Ihr also in Leipzig am Tag X ein bißchen was auf den Hut
bekommen. Oder auf’s Basecap oder die Hoodie-Kapuze, weil Hüte Euch
wahrscheinlich zu spießbürgerlich sind.

Okay, wenn Ihr nach getaner „antifaschistischer Pflicht“ bei einem
Bierchen oder einem Joint chillt (sofern Ihr nicht zu den zehn Genossen
gehört, die in der U-Kiste sitzen), dann könnt Ihr Euch natürlich mit
Eurem „Bodycount“ trösten. Schon in der Nacht vorher 23 verletzte
Polizisten und 17 beschädigte Fahrzeuge, darunter wohl auch Autos von
Anwohnern, die Ihr (vielleicht, weil nazi?!) abgefackelt habt. Klingt
für Euch vielleicht gut. Aber soweit ich weiß, ist nur ein Angehöriger
der „Bewaffneten Organe“ der BRD im Krankenhaus gelandet, und da war in
den Medien noch nicht mal von stationärer Aufnahme die Rede. Kann auch
sein, daß man dem nur ambulant ’ne Platzwunde mit zwei, drei Stichen
genäht hat. Die anderen 22 waren dann also wohl nur leicht oder gar
leichtest verletzt. Wenn überhaupt. Wißt ihr eigentlich, daß sich nach
solchen Einsätzen so manches „Organ“ verletzt meldet, ohne es zu sein?!
– Ich kann über die gerade von meinem WaWe gelöschte Barrikade stolpern;
geht bei Dunkelheit und wenn’s vom Wasser rutschig ist, völlig leicht.
Und dann kann ich simulieren, daß ich mir den Knöchel verstaucht habe. –
Naja, und am Tag X dann noch mal ähnlich viele, unter dem Strich nach
Medienberichten eine halbe Hundertschaft. Klingt nach echter
antifaschistischer Schlagkraft….

Allerdings nur so lange, bis man im „Kleingedruckten“ liest, daß von den
fünfzig verletzten Polizisten gerade mal drei dienstunfähig waren….

Tja, und dann die  Geschichte mit dem Verbot der Soli-Demo. Angesichts
der vorherigen Ankündigungen hätte man sich auch ohne juristische
Vorbildung ausrechnen können, daß das Ding verboten bleiben würde, bis
hin zu einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts.

Aber immerhin wart Ihr – oder Euer fast bürgerlicher Arm – klug genug,
als Ersatz eine Protestdemo gegen das Verbot anzumelden. Kennen wir seit
über dreißig Jahren. Als 1991 der Rudolf-Hess-Marsch in Wunsiedel trotz
Anrufung der Gerichte verboten blieb, meldeten wir – mit einem anderen
Anmelder, nebenbei gesagt auch einem Rechtsanwalt – am Sitz des
Verwaltungsgerichts, in Bayreuth, eine Protestdemonstration gegen das
Verbot an. Wurde zwar auch verboten, aber dagegen haben wir uns vor dem
gleichen Verwaltungsgericht Bayreuth dann durchgesetzt. Wir waren damals
übrigens genausoviele wie Ihr am 3. Juni in Leipzig gewesen sein sollt –
bei 1.500 Menschen. (Einige Quellen meinen allerdings, daß Ihr bei der
Demo gegen das Verbot mehr als 1.500 gewesen sein sollt; ist ja manchmal
auch gar nicht so leicht feststellbar.) WIR konnten damals durch
Bayreuth marschieren, weil WIR uns nicht vermummt haben; sonst wären WIR
auch keinen Meter weit gekommen. Abgeschirmt von der Bundespolizei, die
damals noch Bundesgrenzschutz (BGS) hieß, sind wir dann durch die Stadt
marschiert, obwohl Eure damaligen Genossen ähnlich viel
Gegendemonstranten auf die Beine gebracht haben. Die sind nur nicht an
uns rangekommen, dank dem BGS. Und als das berühmt-berüchtigte
„Unterstützungskommando“ (USK) bei unserer Abschlußkundgebung ein wenig
herumprovozierte, traten ihnen sogar die BGSler entgegen. Hätte echt
nicht viel gefehlt, und die USKler hätten sich mit den BGSlern
geprügelt, wobei wir dann übrigens sehr, sehr gern dem BGS zu Hilfe
gekommen wären…. (Der BGS war mir schon immer sympathischer als diese
SEK- oder USK-Typen. Ursprünglich waren es halt mal Paramilitärs, und da
hatte man dann zumindest in den 90-er Jahren eine ähnliche Wellenlänge.)

Aber Eure Genossen mußten ja von vornherein auf militant machen.

Wenn ich militanter Linker wäre und Scheiben einschlagen oder Autos
umkippen oder Steine oder Flaschen auf Polizisten werfen wollte (die
dank Helm und Panzerung davon weniger merken als von einem juckenden
Mückenstich), dann würde ich sagen: Laßt uns doch erst einmal
loslatschen, bevor wir uns vermummen und Krawall machen! Solange wir
hier stationär sind, sind wir vieeeel, vieeel leichter zu kontrollieren,
als wenn wir uns bewegen. – Aber entweder wißt Ihr nichts um solche
Essentials, oder Ihr seid zu blöd, das Euren undisziplinierten
Jungspunden (m, w, d) zu vermitteln.

Tja, und da gab es dann auf den sinnbildlichen Hut. Hübscher Kessel;
klare Steigerung des berüchtigten „Hamburger Kessels“ 1986, zumindest
quantitativ, weil in Leipzig 1.000 Menschen gekesselt wurden statt wie
damals 800 in Hamburg. Von der Dauer der „Abarbeitung“ her war die
sächsische Polizei allerdings der Hamburger überlegen: Während es in
Hamburg damals 13 Stunden gedauert hat, waren in Leipzig die letzten
nach 11 Stunden – gegen 5.00 Uhr morgens – „abgearbeitet“. Obwohl sie um
rund ein Viertel mehr waren als in Hamburg. Man sieht, auch die Polizei
ist lernfähig, obwohl ihr Apparat ansonsten eher einem Dinosaurier
ähnelt (viel Panzer, wenig Hirn).

Hat sich das alles also Eurer Meinung nach gelohnt?!

Für uns hat es sich gelohnt: Trotz aller staatlichen Propaganda „gegen
rechts“ hält nach einer aktuellen Meinungsumfrage von „Civey“ eine
wenngleich nicht überwältigende, aber immerhin eine Mehrheit der
Befragten Linksextremismus für gefährlicher als Rechtsextremismus. –
Klar, angesichts des kurzen Gedächtnisses der breiten Masse kann das in
zwei, drei Wochen schon wieder anders aussehen. Aber es ist vorstellbar,
daß Eure Aktion nächstes Jahr für die Landtagswahl ein paar
Zehntelprozent mehr für die AfD generiert. Veränderungen im
Nullkomma-Bereich sind zwar echt nicht so relevant, aber was solls:
Kleinvieh macht auch Mist!

Und was den „Kessel“ betrifft: Klar war das rechtswidrig. Trotz aller
ideologischer Unterschiede bin ich aus Gründen abstrakter Gerechtigkeit
da bei Euch. Und? Was habt Ihr davon, wenn in einem Jahr oder so das
Verwaltungsgericht das feststellt, so, wie es damals bezüglich des
Hamburger Kessels eine entsprechende Feststellung getroffen hat? Das
wird die, die Ihr so gern „Bullen“ nennt, nicht hindern, bei
vergleichbarer Gelegenheit genauso zu handeln. Weil sie es eben können!
Und Ihr, meine lieben revolutionären Halbbrüder, könnt dagegen nun mal
gar nix machen! Schon mal gehört, daß Macht vor Recht geht? Oder von der
„normativen Kraft des Faktischen?“ Oder vielleicht gar (ein paar von
Euch haben ja sogar im bildungsbürgerlichen Sinne einen entsprechenden
Hintergrund) anlatinisiert, so daß ihr mit dem Satz was anfangen könnt:
„Inter arma silent lege“?

Mag sein, daß Ihr Euch das Wochenende um den Tag X herum schönreden
wollt. Oder es zwar kritisch betrachtet, aber aus taktischen Gründen
Eure Kritik nicht nach draußen dringen lassen wollt. (Wie war das bei
der RAF? – „Nur die Guerilla kann die Guerilla kritisieren!“) Aber was
mich betrifft, meine Meinung steht fest: Ihr habt einfach auf den Hut
gekriegt.

Vielleicht seid ihr beim nächsten Mal klüger. Nicht, daß ich mir das
wünsche. Aber die Fairness gebietet – sozusagen von Halbbruder zu
Halbbruder! – Euch das mal zu sagen.

Grüße
Christian Worch

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