Lackmustest der Demokratie

Thüringen hat ein Demokratieproblem. Und zwar nicht erst seit jenem
historischen Sonntag, wo ein Landrats-Kandidat der AfD mit ca. 53
Prozent gegen den Kandidaten einer All-Parteien-Koalition, einer neuen
„Nationalen Front“, gewonnen hat.

Das Problem begann schon früh im Jahre 2020.

Da erwies sich das „Grüne Herz Deutschlands“, wie das Bundesland
Thüringen auch gern genannt wird, plötzlich als vermeintlich
„unregierbar“. Bodo Ramelow von der mehrfach gewendeten Ex-SED (heute:
DIE LINKE) hatte keine Mehrheit mehr. Stattdessen wurde ein bis dahin
recht wenig bekannter Thomas Kemmerich von der FDP mit den Stimmen von
CDU, FDP und Afd zum Ministerpräsidenten gewählt.

Die damalige Kanzlerin Merkel erklärte das in einer Pressekonferenz im
fernen Südafrika für „unverzeihlich“ und forderte „Rückgängigmachung“.

In Ihrer wütenden Erregung hat die vormals so schön linientreue
FdJ-Sekretärin leider übersehen, daß es eine offiziellen Pressekonferenz
war, die sie als Bundeskanzlerin gegeben hatte. Nicht Merkel als
Parteifunktionärin. Auch nicht das Mensch Merkel (m, w, d oder was auch
immer) als Privatperson. Sondern als Kanzlerin. Dafür wurde sie –
wenngleich auch ein paar Jahre später – vom Bundesverfassungsgericht
gerüffelt. Hätte sie nicht tun dürfen. Da sie zu dem Zeitpunkt schon
keine Kanzlerin mehr war, blieb dieser Rüffel gänzlich ohne Folgen….

Und somit wurde Ramelow dann – im dritten Anlauf, also mit Hängen und
Würgen – Ministerpräsident einer Minderheitenregierung. Wobei Ramelow
zwar zur mehrfach gewendeten Ex-SED gehört, man ihm aber leider nicht
vorwerfen kann, vormals linientreu gewesen zu sein. Wie Helmut Kohl von
der „Gnade der späten Geburt“ gesprochen hat, könnte Ramelow für sich
die „Gnade der westlichen Geburt“ geltend machen; er war niemals
„gelernter DDR-Bürger“ und konnte daher nicht im alten SED-Sinne
linientreu sein. Was er innerlich während der deutschen Spaltung war,
ist eine andere Frage.

Sich der fragilen Situation bewußt, versprach Ramelow Neuwahlen binnen
eines Jahres. Das ist jetzt drei Jahre her, und Neuwahlen hat es
trotzdem nicht gegeben. Da war zuerst einmal Corona, und niemand wollte,
daß die armen Wähler sich anstecken. Und später war das Thema sowieso
obsolet. Die normative Kraft des Faktischen nennt man das. Andere
übersetzen es mit „Macht geht vor Recht“, und Wahlversprechen sind nicht
einklagbar.

Aber die Dinge sehen ganz anders aus, wenn der Gewinner einer
Direktwahl, einer Personenwahl, ein AfDler ist.

Die Rechtaufsicht des Landes will jetzt den gewählten Landrat Sesselmann
einem „Demokratie-Check“ unterziehen.

Tatsächlich muß ein Wahlbeamter – und das ist ein Landrat – die Gewähr
bieten, sich für die freiheitlich-demokratische Grundordnung
einzusetzen. Sogar „jederzeit“, wie das Gesetz es so schön sagt. (Auch
nachts um drei im Vollrausch, wenn er am Abend vorher gezecht hat?! –
Ja, auch dann, wenn er vielleicht das Wort „freiheit-demokratische
Grundordnung“ nur noch lallen kann. Die Gewähr, sich dafür einzusetzen,
muß er trotzdem bieten.  Das ist Gesetz.

Allerdings hat das ja vorher der Wahlzulassungsausschuß des Kreistages
zu prüfen. Ohne eine solche „Gewähr“ darf ein Kandidat gar nicht
zugelassen werden.

Jetzt eine Art nachträglichen „Gesinnungstest“ durchzuführen, ist, sagen
wir es höflich und zurückhaltend, fragwürdig. Wobei Herr Sesselmann gute
Voraussezungen dafür mitbringt, rechtliche Fragwürdigkeiten aufzudecken
und nötigenfalls anzugreifen. Er ist nämlich Rechtsanwalt! Womit er –
ganz nebenbei – ein „Organ der Rechtspflege“ ist und als solches sowieso
an Recht und Gesetz gebunden ist; sonst hätte ihm trotz vollendeten
Jura-Studium die Anwaltskammer keine Zulassung erteilen dürfen.

Zusätzlich problematisch wird die Angelegenheit durch eine sehr, sehr
unkluge öffentliche Äußerung von Stephan Kramer, der Präsident des
Landesamtes für Verfassungsschutz ist. Das war übrigens nicht die erste
berufliche Tätigkeit von Herrn Kramer. Der Mann, der keine jüdischen
Wurzeln hat,  wurde als Erwachsener durch Konvertierung Jude. Was,
nebenbei gesagt, keine geringe Leistung ist; denn dafür mußte er
Hebräisch lernen und sich mit Thora und Talmud vertraut machen. Einige
Jahre war er Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland.
Ein wenig selbstironisch nahm er für sich in Anspruch, „Berufsjude“ zu
sein. Aber die Tätigkeit als Generalsekretär des ZdJ war für ihn wohl
weniger befriedigend als der Job als Präsident des Landesamtes für
Verfassungsschutz. Nun, es sei ihm gegönnt.

Nicht aber gegönnt ist ihm, 20 Prozent der Menschen in der BRD als
„braunen Bodensatz“ zu bezeichnen. Damit überschreitet der Präsident
eines Landesamtes für Verfassungsschutz eindeutig seine Kompetenzen.

So stellt sich die Frage, ob die „Demokratietauglichkeit“ von Herrn
Sesselmann zu prüfen ist oder möglicherweise eher die der ganzen
Landesregierung einschließlich ihres Verfassungsschutzpräsidenten.

Da hätten wir dann mal einen echten Lackmustest der Demokratie. Wobei
dieser zu interessanten Ergebnissen führen kann. Ist eine Lösung sauer,
zeigt das Testpapier eine rote Farbe; ist sie hingegen basisch, sieht
man eine blaue Farbe.

Das Wahlergebnis zumindest war im Testsinn blau und nich rot. Aber im
Sinne von Frau Merkel kann es als „unverzeihlich“ angesehen werden und
„muß rückgängig gemacht werden“. Ob so etwas an der Einstellung der
Wähler im Kreis Sonneberg und ganz Thüringen etwas ändert, ist eine
andere Frage.

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