Hunger als Waffe?

Es ist geradezu erstaunlich, daß noch niemand die Behauptung aufgestellt hat, Corona sei weder natürlich entstanden noch einem Labor im chinesischen Wuhan entfleucht, sondern von Wladimir Putin in die Welt entlassen worden, um den bösen Westen zu schädigen. Für eine solche Hypothese gibt es – im Gegensatz zu den beiden ursprünglichen Vermutungen – nicht einmal den Schatten eines Indizes, aber es ist in der westlichen Presse halt modern geworden, den Präsidenten der Russischen Föderation für alle Übel dieser Welt verantwortlich zu machen. Und wenn schon nicht direkt, dann wenigstens indirekt.

Fakt ist, daß der Krieg in der Ukraine als Nebenfolge eine drohende Hungersnot in Teilen Afrikas und Arabiens mit sich bringt. Ein paar hundert Millionen Menschen sind von Nahrungsmangel bedroht (oder stärker bedroht als in normalen Zeiten…), und schlimmstenfalls könnten ein paar Millionen verhungern.

Denn sowohl Rußland als auch die Ukraine produzieren einen beachtlichen Überschuß an Weizen; die Ukraine sogar jetzt, weil die Kampfhandlungen sich nur in einem relativ kleinen Teil des Landes abspielen und der erheblich größere Teil entweder gar nicht betroffen ist oder schlimmstenfalls unter relativ wenigen Bombardements militärischer oder infrastruktureller Einrichtungen zu leiden hat.

Der Weizen-Export der Ukraine ist dennoch zum Erliegen gekommen, weil sie vom Seehandel abgeschnitten ist. Transport per Bahnwaggon oder LKW kann das nur zu einem winzigen Teil ersetzen. Auch scheint es, daß in den russisch besetzten Gebieten der Ukraine gelagertes Getreide nach Rußland umgeleitet wird; ob als Kriegsbeute oder Diebesgut, ist wahrscheinlich eine Frage der Sprachregelung, die wiederum von den jeweiligen politischen Grundüberzeugungen abhängig ist. Des einen Fouragier ist des anderen Plünderer, auch wenn es heute glücklicherweise
nicht mehr so schlimm getrieben wird wie in den Zeiten des Dreißigjährigen Krieges.

Rußland seinerseits hat angekündigt, keinen Weizen mehr an „unfreundliche Staaten“ liefern zu wollen, was insofern verständlich ist, weil die Sanktionen eine Bezahlung der Ware ja nun einmal äußerst schwierig machen. Und Ware gegen Geld ist nun mal ein Grundprinzip des Handels (alternativ: Ware gegen andere Ware), das ist nicht allein in kapitalistischen Staaten bekannt.

Trotzdem hätte Rußland durchaus die Möglichkeit, die drohende Hungerkatastrophe abzuwenden. Die meisten der betroffenen Staaten gelten ja nicht als „unfreundlich“. Und die Probleme mit dem Seetransport gelten für die Russen, die das asowsche Meer beherrschen, ja nun nicht.

Trotzdem ist es als „hybride Kriegsführung“ durchaus sinnvoll, nichts gegen die drohende Hungersnot zu unternehmen.

Das wird vermutlich eine neue Flüchtlingswelle lostreten. In Richtung Europa, versteht sich. Und in Europa speziell in Richtung Deutschland, weil dort die Flüchtlinge am besten versorgt werden. Damit wird politischer Druck erzeugt. Etwas, was der türkische Präsident Erdogan bereits erfolgreich initiiert hat, und was der weißrussische Machthaber ebenfalls getan hat. Warum sollte Putin auf ein solches Druckmittel gegenüber dem als feindlich empfundenen Westen verzichten?! Eine zusätzliche Revanche für die Sanktionen und insbesondere für die Unterstützung der Ukraine mit Waffen.

Ja, nicht nur Panzer und Geschütze können Waffen sein!

Ob man das moralisch empörend findet oder nicht, ist dabei völlig gleichgültig. So funktioniert die Welt. Und so wird noch auf einer weiteren Ebene als bisher gezeigt, daß Deutschland Kriegsfolgen zu tragen hat, auch wenn wir offiziell an diesem Krieg überhaupt nicht beteiligt sind. Es mag für Gutmenschen aller Couleur schwer zu verdauen sein, aber Rußland sitzt in mehr als einer Beziehung am längeren Hebel. Und wir in Deutschland sollten uns überlegen, wieviel Gegendruck wir uns für eine indirekte Kriegsbeteiligung leisten können und wollen.

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