Welcher Teilnehmer radikal rechter Demonstrationen kennt sie nicht: Die Kontrollzelte! Vor allem in den Bundesländern Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen scheinen höhere Polizeiführer begeisterte Camper zu sein und Zelte zu lieben, auch wenn sie ein wenig unpassend im Innenstadtbereich stehen und nicht in der freien Natur.

Ein solches Zelt war am 11. Oktober Gegenstand einer Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Hannover. Übrigens nicht zum ersten Mal. Es hatte schon gut zwei Jahre vorher im Eilverfahren eine Rolle gespielt, und das kam so:

Der „Tag der Deutschen Zukunft“ 2010 fand in Hildesheim statt, ausgerichtet von dem bekannten Aktivisten Dieter Riefling, geleitet von dessen Ehefrau Ricarda. Ausgangsort sollte eine große Kreuzung unweit des Bahnhofs sein. Der Bahnhofsvorplatz war nicht geeignet, denn die Polizei wollte die Bahnschienen gern als „natürliche Trennungslinie“ zwischen der rechten Demonstration und möglicherweise gewalttätigen linken Gegendemonstranten haben, was ja nachvollziehbar war. Der Platz hinter dem Bahnhof aber ist für ein öffentliches Anliegen wenig attraktiv. Dennoch wurde er per Auflage angeordnet, weil angeblich nur dort ein Kontrollzelt zur „Sichtprüfung“ der verhängten Auflagen aufgestellt werden konnte.

Warum man dafür ein Zelt braucht? Der Normalbürger wird es nicht wirklich verstehen. Tatsächlich braucht man es, weil man nicht nur per Blick überprüfen will, ob die Demonstranten keine Springerstiefel, Bomberjacken oder Hakenkreuze als Gürtelschnallen tragen, wobei letztere aus der Mode gekommen sind, weil sie sich beim Hinsetzen unangenehm ins Fleisch bohren können. Nein, man möchte die Demonstranten allesamt durchsuchen. Und solche Zelte werden aufgestellt, weil es einerseits ja der Menschenwürde einer durchsuchten Person nicht förderlich ist, wenn sie sich möglicherweise vor laufender Fernsehkamera abtatschen läßt. Und außerdem möchte man die Öffentlichkeit nicht gern wissen lassen, daß man nahezu routinemäßig alle Demonstranten durchsucht, wofür es keine Rechtsgrundlage gibt.

In diesem damaligen Eilverfahren versicherte die Polizei vor Gericht zwar nicht heilig, aber immerhin hoch, daß man selbstverständlich nicht alle Teilnehmer durchsuchen werde, sondern allenfalls einzelfallbezogen, bei konkretem Verdacht darauf, daß diese möglicherweise für Demonstrationen verbotene Gegenstände bei sich hätten.

Für weltfremde Verwaltungsrichter klingt so was gut, und außerdem genießt die Polizei zunächst einmal eine Art von Grundvertrauen, sofern man sie und ihr manchmal merkwürdiges Handeln nicht näher kennt.

Das Gericht befand im sogenannten Eilverfahren also, das Zelt sei nötig, und da es nur an dieser Stelle aufgestellt werden könne, müsse die Demonstration also dort beginnen.

Sie tat es, und vorher wurden 553 Teilnehmer dort durchsucht. Was einer Quote von ungefähr 100 Prozent entspricht. (Auch durch Verspätung des Bahnverkehrs nachfolgende weitere 70 Teilnehmer wurden zu einer Quote von 100 Prozent durchsucht, wie sich durch Lektüre des polizeilichen Abschlußfernschreibens ergab.)

Diese Durchsuchungen waren nach amtlicher Feststellung nur mäßig ergiebig. Eine Person führte einen Teleskopschlagstock mit und eine andere einen Schlagring; diese Gegenstände verstoßen entweder gegen das Waffengesetz oder sind mindestens für Demonstrationen verboten.

Dieter Riefling als Ausrichter der Veranstaltung focht die generelle Durchsuchung vor dem Verwaltungsgericht Hannover an.

Zunächst einmal versuchte die Polizei in geradezu prozeßbetrügerischer Absicht darzulegen, es seien nicht mehr als zwei Personen durchsucht worden. Da Riefling Zeugen benannt hatte, ließ man diese Version recht bald fallen. Da aber sprang das Gericht der Polizei hilfreich zur Seite. Es thematisierte die Frage: Wenn an einer polizeilichen Kontrollstelle jemand aufgefordert wird, seine Taschen auf einen Tisch zu leeren und die Polizei sich den Inhalt eben dieser Taschen anschaut, ohne die Person weiter zu durchsuchen (beispielsweise durch Abtasten oder vielleicht auch einem damals nicht vorhanden gewesenenen Metalldetektor), dann ist das doch wohl keine Durchsuchung. Nein? Ist es das etwa nicht? Wenn meine Wohnung durchsucht wird, meine Schränke geöffnet und die Schmutzwäsche durchwühlt wird, ob ich dort vielleicht Datenträger oder Handgranaten verstecke, aber die Polizei darauf verzichtet, mich, der ich ihr morgens um 6.00 Uhr im Schlafanzug die Tür öffne, auch noch abzutasten, ist das dadurch etwa keine Hausdurchsuchung?!

Allerdings konnten zunächst einmal zwei der Zeugen darlegen, daß sie auch abgetastet worden seien, und das waren nicht die beiden Männer, die einen Schlagstock oder einen Schlagring mit sich geführt hatten.

Ja, meine ein polizeilicher Vertreter überlegen, das müsse man bitte verstehen; Herr Thomas Wulff (vormaliges Bundesvorstandsmitglied der NPD und aktuell stellvertretender Landesvorsitzender des Landesverbandes Hamburg der NPD) sei halt ein bundesweit bekannter rechtsextremer Aktivist, den müsse man per se durchsuchen, und der andere Herr habe einige politisch rechtsextreme Tätowierungen an den Unterarmen, auch so jemanden müsse man durchsuchen.

Mißlicherweise konnten die beiden Zeugen aussagen, daß außer ihnen auch die zeitgleich anwesenden Personen im Zelt abgetastet worden seien.

Damit war diese mehr vom Gericht als von der beklagten Polizei aufgebaute Verteidigungslinie auch nicht mehr haltbar.

Das Gericht aber wollte auf Biegen und Brechen zu einer Klagabweisung kommen. Nach rund fünfstündiger Verhandlung (ungewöhnlich lange für Verwaltungsgerichtsprozesse; die dauern selten länger als eine Stunde) kam man zu folgendem Urteil (im Namen des Volkes): Die Klage werde abgewiesen. Zwar sei es mit der Versammlungsfreiheit nicht vereinbar, generell alle Teilnehmer eine Demonstration im Vorfeld zu untersuchen. Rechtswidrig sei dies aber nicht, weil nach Erkenntnis des Gerichts niemand dagegen protestiert habe.

Eine rechtlich höchst fragwürdige Ansicht.

Behörden unterliegen dem sogenannten „Legalitätsprinzip“. Das bedeutet, sie sind grundsätzlich verpflichtet, rechtmäßig zu handeln. Natürlich kann im Einzelfall passieren, daß sie das nicht tun. Schließlich sind auch Behördenangehörige nur Menschen; sie können irren. Wo auch immer gearbeitet wird, passieren Fehler; nur dort, wo überhaupt nicht gearbeitet wird, passieren keine Fehler. Aber allgemein darf der Bürger darauf vertrauen, daß die Behörde grundsätzlich nur legal handelt oder es zumindest ernstlich versucht.

Im Umkehrschluß bedeutet das aber auch einen Vertrauensschutz. Denn so, wie der Bürger eine behördliche Anordnung erst einmal hinnehmen muß, weil die Behörde eben Trägerin des staatlichen Gewaltmonopols ist und Faustrecht gesetzlich untersagt ist, darf er dann auch darauf vertrauen, daß die Anweisungen eines Polizeibeamten rechtmäßig sind. Er muß nicht ausdrücklich dagegen protestieren. Sein Recht auf spätere gerichtliche Überprüfung und Feststellung rechtswidrigen Handelns ist unbenommen von der Frage, ob er vor Ort gesagt hat: „Nein, das möchte ich aber nicht!“ Wenn im Straßenverkehr ein Polizeibeamter die Kelle hebt, dann bremse ich erst mal. Ich kann ihn ja nicht vom fahrenden Auto aus ansprechen und sagen: „Nein, das will ich nicht!“ So haben es zumindest alle gelernt, die jemals eine deutsche Fahrschule besucht und eine Führerscheinprüfung abgelegt haben.

Da hat also das Verwaltungsgericht Hannover, um der Polizei eine juristische Ohrfeige zu ersparen, richtig ein Faß aufgemacht.

Bisher ist noch unklar, ob Kläger Riefling dies vom Oberverwaltungsgericht überprüfen läßt. Deutschland ist ein Rechtsstaat, aber Recht zu bekommen setzt leider auch voraus, daß man es bezahlen kann. So ein Prozeß kostet an Anwalts- und Gerichtsgebühren rund 1.000 Euro. In der nächsten Instanz sogar noch ein bißchen mehr.

Verloren hat die Polizei allerdings trotzdem. Denn nach der mündlichen Urteilsverkündung erklärten Aktivisten, nun, dann werde man vor solchen Demonstrationen exakt vor diesen berüchtigten Zelten eben Handzettel verteilen, es habe bitteschön jeder Teilnehmer im Zelt gegen die Durchsuchung zunächst einmal zu protestieren. Mal sehen, wie die Polizei dann damit umgeht. Da könnte der nächste Prozeß schon vorprogrammiert sein. Am schönsten wäre natürlich, wenn er im Amtsbezirk des Verwaltungsgerichts Hannover stattfinden würde. Aber es kämen auch andere Verwaltungsgerichte infrage, die sich dann mit den Folgen der seltsamen Rechtsauffassung ihrer Hannoveraner Kollegen auseinandersetzen können.

Übrigens hatte schon die Einleitung dieses Prozesses polizeitaktische Folgen. Denn nach Klageerhebung, aber vor der Sitzung des Verwaltungsgerichts fand die traditionelle Demonstration in Bad Nenndorf statt. Zur Beweissicherung waren drei Videographen abgestellt, um den Ausgang der Kontrollzelte zu filmen. (Das spielt eine Rolle für die „Durchlaufgeschwindigkeit“ an Personen, und das wiederum ist ein Hinweis darauf, ob diese Personen nun durchsucht worden sind oder nicht.) Die gleiche Polizeidirektion, die für den Hildesheim-Einsatz zuständig war, leitete auch den Bad-Nenndorf-Einsatz. Dort konnte eine durchgängige Durchsuchung von Teilnehmern nicht festgestellt werden. Nur wer einen Rucksack oder eine Tragetasche oder ein ähnliches Gepäckstück mit sich führte, wurde durchsucht. Und alle, die eine Fahne bei sich hatten. Was auch wieder interessante Rechtsfragen aufwirft.

Deren Klärung allerdings leider davon abhängig ist, daß jemand die oben erwähnten 1.000 Euro an Anwalts- und Gerichtskosten locker zu machen bereit ist.

Solange das nicht der Fall ist, werden halt vor der Durchsuchung Handzettel verteilt. Das kommt preiswerter. Und die Teilnehmer haben dann etwas, was sie mit nach hause nehmen und in einigen Jahrzehnten ihren Enkeln zeigen können.

 

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