Ein Opfer der Wirtschaftslage zu sein, hat nicht nur Nachteile, sondern hin und wieder auch einen kleinen Vorteil. Man kann sich Dinge leisten, die der Normalverdiener sich nicht leisten kann oder die ihn schmerzhaft teuer kommen. Zu diesen Dingen gehört auch, gelegentlich mal eine Handvoll Sand ins behördliche Getriebe zu streuen.

Vor ungefähr zwei Jahren wurde ich irgendwo in der Nähe von Bielefeld geblitzt. Wegen der geringfügigen Geschwindigkeitsüberschreitung wollte die westfälische Stadt von mir ein Ordnungsgeld in Höhe von 20 Euro haben.

Ich aber hatte keine Lust zu zahlen. Im Zusammenhang mit weit zurückliegenden Demonstrationen hat die Stadt Bielefeld beziehungsweise das dortige Polizeipräsidium mich hin und wieder geärgert; also eine gute Gelegenheit, mal zurückzuärgern. Zudem ist unklar, ob Bielefeld wirklich existiert. Es gibt eine Menge Anhänger der Bielefeld-Verschwörung…. (Siehe: http://de.wikipedia.org/wiki/Bielefeldverschw%C3%B6rung )

Also ignorierte ich das freundliche Angebot, die Sache gegen Zahlung von 20 Euro aus der Welt zu schaffen. Ich wollte nichts aus der Welt schaffen. Nicht einmal Bielefeld, sofern die Stadt tatsächlich existiert und ich damals nicht nur durch eine geschickt aufgebaute Kulisse gefahren bin.

Autofahrer wissen, was dann folgt: Als nächstes kommt ein hübscher gelber Umschlag, der sich PZU nennt (Postzustellungsurkunde) und einen formalen behördlichen Bescheid enthält, verbunden mit einer Verwaltungsgebühr, die höher ist als das eigentliche Bußgeld, nämlich 34,50 Euro.

Was ich immer noch nicht bezahlte.

Aber gegen so hartnäckige Schuldner wie mich hat sich der Gesetzgeber was einfallen lassen; Amtsvollstreckung. Die Stadt Bielefeld wandte sich an mein heimisches Parchim. In Parchim hat man von der Bielefeld-Verschwörung noch nie was gehört; oder man ignoriert sie einfach und setzt die Existenz der Stadt Bielefeld als einer Körperschaft des öffentlichen Rechts voraus. Also teilte die Stadt Parchim mir mit, daß sie in Amtshilfe für das große, große Bielefeld gegebenenfalls gegen mich zwangsvollstrecken würde. Bielefeld (ca. 400.000 Einwohner) hatte damit den kleinen Bruder Parchim (ca. 18.000 Einwohner) zu Hilfe gerufen. Kleine Brüder können bissig sein.

Aber ich bin Einzelkind und ignorierte auch den kleinen Bruder, weil ich in meiner Familie eben keinen hatte…

Nun sind die Ossis, das muß man ihnen lassen, erfinderisch; gerade ich als gebürtiger Wessi und nunmehriger Neu-Ossi würdige das sehr. Die Stadt Parchim erließ vorsorglich ein halbes Dutzend Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse für verschiedene Kreditinstitute, in der Hoffnung, daß ich wohl irgendein Konto wahlweise bei der Deutschen Bank, der Commerzbank, der Sparkasse Parchim-Lübz oder der Postbank hätte. Letzteres war ein Treffer. Die anderen Schüsse gingen eher daneben, weil die entsprechenden Institute der Stadt mitteilen mußten, mich nicht als Kunden zu haben.

Also bekam die Stadt Parchim das Geld, das der Stadt Bielefeld zustand – für die Dauer von ungefähr zwei Tagen. Dann bekam ich es zurück. Ich hatte bei der Postbank nämlich zwischenzeitlich Pfändungsschutz beantragt. Als Empfänger von Leistungen nach dem SGB II, vulgo Hartz IV, bekommt man so was sehr leicht. Es reicht, einen aktuellen Bewilligungsbescheid des Jobcenters beziehungsweise der Bundesagentur für Arbeitslosigkeit vorzulegen.

Für die Dauer von rund sechs Wochen konnte ich auf meinem Konto einen lustigen Jo-Jo-Effekt feststellen: Das Geld war weg, es war wieder da, es war wieder weg, wieder da, wieder weg, wieder da… Offenbar dauerte es eine Weile, bis der Computer den Pfändungsschutz registriert hatte. Computer können ähnlich hartnäckig sein wie ich. Erstaunlich eigentlich, daß Bill Gates die Dinger erfunden hat und nicht ich… (Nein, genaugenommen war es Konrad Zuse und damit im Gegensatz zu Bill Gates wenigstens ein Landsmann von mir!)

Damit war auch der findige kleine Bruder am Ende seines Lateins. Um ihn zu beschäftigen, hatte ich – neuerlich unter Vorlage meines Bewilligungsbescheides – gegen den Pfändungs- und Überweisungsbeschluß Rechtsmittel eingelegt. Die Reaktion war, daß die Stadt Parchim mir einen netten Brief schickte, ob ich mich denn zu einer Ratenzahlung bereitfinden könne? Ich antwortete darauf, indem ich mitteilte, wenn Hartz IV das gesetzlich definierte Existenzminimum sei, sähe ich dazu keine Veranlassung; und im übrigen hätte ich ein formelles Rechtsmittel eingelegt und erwartete einen klagefähigen Bescheid. Den habe ich noch immer nicht. Wahrscheinlich grübelt das Stadtamt noch darüber, wie es ihn begründen soll. Parchim ist so klein, daß ich zweifele, ob sie als Leiter der städtischen Rechtsabteilung überhaupt einen Volljuristen haben. Und wenn, dann ist der vielleicht klug genug, sich mit solchem Kleinkram nicht weiter beschäftigen zu wollen.

Nun mußte also der große Bruder wieder ran an die Sache und beantragte beim Amtsgericht einen Erzwingungshaftbefehl.

Ich machte die inzwischen dritte Kopie meines Bewilligungsbescheides und schickte ihn dem Amtsgericht Bielefeld mit dem Bemerken, unabhängig von der Frage, ob ich zahlungswillig sei oder nicht, sei ich nun mal zahlungsunfähig.

Beim Amtsgericht Bielefeld sitzen aber zwingendermaßen Volljuristen und andere Leute, die davon eine Ahnung haben; sie kannten einen Beschluß des Bundesgerichtshofs, daß einem Hartz-IV-Empfänger, der ein Auto unterhält, auch die Zahlung eines Bußgeldes in so geringer Höhe zugemutet werden kann. Natürlich ist der Beschluß ein bißchen lebensfremd. Es liegt auf der Hand, daß ein Hartz-IV-Empfänger, der ein Auto unterhält, noch weniger Geld hat als einer, der keines unterhält… Aber Institutionen wie der Bundesgerichtshof neigen nun einmal zu einem gewissen Maß an Lebensfremdheit.

Schön, sagte ich mir, es gab so lange keinen Haftbefehl gegen mich, genaugenommen wohl im Jahre 1985 den letzten, daß es mal wieder an der Zeit ist, auch wenn es sich nur um einen billigen Tag Erzwingungshaft handelt.

Das Amtsgericht Bielefeld war dann auch so nett, mir den Gefallen zu tun.

Es läßt sich nicht genau bestimmen, aber selbst bei sehr vorsichtiger Rechnung gehe ich mal davon aus, daß verschiedene Beamte, städtische Angestellte und eine Richterin am Amtsgericht inzwischen mindestens zehn Arbeitsstunden aufgewendet haben, um 20 Euro beizutreiben. Ein Stundenlohn, über den auch vor Einführung des Mindestlohns schlecht bezahlte Friseusen oder Taxifahrer nur müde hätten lächeln können!

In der freien Wirtschaft nennt man das mangelhafte Energieeffizienz.

Tja, wie viele Hartz-IV-Empfänger gibt es eigentlich? Eine ganze Menge! Und der eine oder andere von ihnen wird sich vielleicht auch noch ein Auto leisten können oder müssen. Wir wollen nur mal wohlwollend hoffen, daß nicht allzuviele von denen Sand ins Getriebe streuen. Nicht, daß der Staat dadurch verarmt und dann nicht mehr genug Geld für den „Krampf gegen rächtz“ oder für unsere lieben ausländischen Mitbürger auf Flucht aus ihren Heimatländern übrig bleibt.

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