Vielleicht sieht Bundesinnenminister Friedrichs nicht nur verkniffen aus, weil der angebliche Waffenlieferant des „NSU“ möglicherweise ein V-Mann war. Auch über „eines der wichtigsten innenpolitischen Vorhaben der vergangenen Jahre“ (DIE WELT) macht er sich Sorgen.

Mit ihm zusammen sind diverse andere Innenexperten der Unionsparteien empört. Empört darüber, daß immer mehr Details über eine Materialsammlung durchsickern.

Diese Sammlung stand möglicherweise von vornherein unter einem ungünstigen Stern – sie wurde am 1. April dieses Jahres begonnen, so daß Spötter von vornherein die Steilvorlage hatten, von einem Aprilscherz zu reden. Ihre Dauer war auf sechs Monate angelegt, so daß die Frist in den nächsten Tagen ausläuft. Dann wollten die Innenminister von Bund und Ländern darüber ein paar Wochen brüten, um auf der Innenministerkonferenz (IMK) am 6. Dezember zu entscheiden, ob sie sich trauen, ein neues Verbotsverfahren gegen die NPD einzuleiten. Auch der 6. Dezember – der Nikolaustag – ist als Termin vielleicht nicht ganz optimal. Die besagten Spötter werden im Vorfeld vielleicht fragen, ob es für die NPD nun die Rute oder den Stiefel (voller Süßigkeiten) gibt….

Hätte man in Kreisen der NPD-Führung Humor, würde man gelegentlich dieser IMK möglicherweise eine Nikolaus-Demonstration vor deren Tagungsort anmelden… Mit Ruten und Stiefeln als Versammlungshilfsmitteln.

Fairerweise aber muß man sagen, daß man von einer möglichen Streitpartei in einem solchen Prozeß Humor nicht zwingend erwarten darf.

Dabei hätte die NPD durchaus Grund zum Lachen. Denn das mit dem Stempel „Verschlußsache – amtlich geheimgehalten“ versehene Dokument von etwas über 1.000 Seiten kursiert in Medienkreisen bereits. Sehr verschlossen, sehr geheim. Die SÜDDEUTSCHE soll es haben, und der Berliner TAGESSPIEGEL zitiert unter Angabe sogenannter Fallnummern.

Je mehr aus der Materialsammlung jetzt zitiert werde, desto größer würden die Prozeßrisiken, meint Innenexperte Bosbach. Die NPD könne somit ihre Prozeßstrategie darauf einrichten, beklagt er sich gegenüber der WELT.

Augenblick mal!

Wenn die Sammlung von etwas über dreitausend Vorfällen, aufgelistet auf mehr als 1.000 Seiten, Grund für einen Verbotsantrag ist, dann wird sie in diesem Antrag zwingend enthalten sein müssen. Denn dann muß das Verfassungsgericht sich über zwei Dinge Gedanken machen. Erstens, sind diese Vorfälle tatsächlich der NPD zuzurechnen oder sind sie fehlerhaft zugeordnet? Und zweitens, wie sind sie aus verfassungsrechtlicher Sicht zu bewerten?

Und die Vorlage dieser Sammlung wird recht bald erfolgen müssen, wenn am 6. Dezember der Beschluß gefällt wird, die NPD solle doch bitte, bitte, bitteschön vom Verfassungsgericht verboten werden. Nach erfolgter Beschlußfassung und da die angeblich so triftigen Gründe ja nun bereits zusammengestellt sind, wäre eine Verzögerung in der Einreichung des Antrages schwerlich zu rechtfertigen.

Was also schadet es, wenn die Öffentlichkeit – und mithin natürlich auch die NPD – einzelne oder alle dieser Gründe drei Monate vorher erfährt? Die Dauer eines solchen Verbotsverfahrens muß man ja ohnehin auf zwei bis drei Jahre veranschlagen.

Oder spielen andere Gründe eine Rolle für diese Empörung?

Hat man hinter den Kulissen bereits beschlossen, daß der Antrag nicht gestellt werden soll, um eine neuerliche Blamage in Karlsruhe oder spätestens in Straßburg zu vermeiden?

Dann wäre die Empörung verständlich.

Denn wenn eine kritische Öffentlichkeit Gelegenheit hat, die Materialsammlung zu begutachten und danach verständnislos darauf reagiert, daß die Verfassungsorgane Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat sich nicht trauen, damit nach Karlsruhe zu gehen, dann ist der Schaden maximiert. Viel bequemer für die Entscheidungsträger ist doch, wenn sie – ohne daß außer ihnen jemand die Materialsammlung kennt – nach Beratung im stillen Kämmerlein mit einem Schulterzucken sagen könnten: Was wir haben, reicht leider nicht aus, das schärfste Schwert des bundesrepublikanischen Rechtsstaates zu schwingen.

Tja, ob nun Rechtsstaat oder Diktatur; die Unwissenheit breiter Volksmassen ist für alle Machthaber eine bequeme und daher wünschenswerte Sache. Und wenn dann so eine Verschlußsache nicht mehr unter Verschluß bleibt, dann kann man schon mal echt empört sein.

Nebenbei hätte das auch für die in letzter Zeit um sich greifenden Vereinsverbote mögliche Folgen

Denn: Wenn das gegen die NPD zusammengetragene Material für ein Parteiverbot nicht reicht und wenn es gegen die verbotenen Vereine nur Material ähnlicher Qualität und entsprechend geringerer Quantität gibt, wie will man dann vor Gericht diese Verbote rechtfertigen?! Die VerbotsGRÜNDE gegen Vereine sind die gleichen wie gegen Parteien. Nur das VerbotsVERFAHREN unterscheidet sich darin, daß Parteien gegenüber Vereinen privilegiert sind.

Dann steht der Bundesinnenminister möglicherweise mit dem vor einem Jahr verhängten Verbot der „Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e.V.“ (HNG) im Regen. Oder NRW-Innenminister Jäger mit dem Verbot von „Nationalem Widerstand Dortmund“, „Kameradschaft Aachener Land“ und „Kameradschaft Hamm“. Oder NDS-Innenminister Schünemann mit dem von „Besseres Hannover“. Oder, oder, oder…

Da kann man schon mal echt besorgt sein!

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