Kritische Masse

Die genaue Zahl bundesweiter Anti-Corona-Demonstranten wissen wahrscheinlich nicht einmal die Sicherheitsbehörden. In den Medien kursiert etwas von mindestens 50.000, vornehmlich in den östlichen Bundesländern, vermehrt aber auch im Westen. Vermutlich ist das zu niedrig gegriffen; es dürften insgesamt wohl leicht doppelt so viele sein. Und sie treten nicht allein in Form von „Montagsspaziergängen“ auf oder am klassischen Demonstrationstag, einem Sonnabend, sondern immer häufiger auch an anderen Tagen. In München beispielsweise gern an einem Mittwoch.

Die Aktionen in München sind etwas für die Freunde der Statistik.

Vorvorigen Mittwoch waren es fünftausend Spaziergänger. Weil Spazierengehen in diesem unserem Land inzwischen „illegal“ ist – zumindest, wenn es dem Protest gegen Corona-Maßnahmen und Impfpflicht dient – , versuchten fünfhundert Polizisten, den Protest zu stoppen. Sie waren dazu mangels Masse nicht imstande. Am vergangenen Mittwoch waren es wieder fünftausend „illegale“ Spaziergänger, aber diesmal tausend Polizisten, und die waren nach Medienangaben imstande, den Protest „zu stoppen“. Man merke also: Die zehnfache Übermacht an Demonstranten macht die Polizei hilflos; sind die Demonstranten jedoch nur in fünffacher Übermacht, kann die Polizei sich noch durchsetzen.

So weit, so schön.

Rechenfrage der Woche ist also: Wie viele Polizisten braucht man dann, um bundesweit hunderttausend Demonstranten zu stoppen? Antwort: Etwa zwanzigtausend. – Nicht, daß man die nicht auftreiben könnte. Es gibt immerhin rund eine Viertelmillion von ihnen. Und auch wenn nicht jeder davon rein körperlich geeignet ist, im Kampfanzug passiv widerständige Massen wegzudrängeln, bleiben eben noch genügend über.

Berücksichtigen muß man allerdings, daß von einer Viertelmillion Beamten schwerlich mehr als ein Fünftel pro Schicht im Einsatz sind. Immerhin hat der Tag drei Schichten, und die Woche hat sieben Tage. Dazu kommt noch Urlaub, Krankenstand oder Fortbildungsmaßnahmen. Wenn man also an drei oder vier Tagen die Woche oder künftig vielleicht an allen sieben Tagen jeweils zwanzigtausend Mann mobilisieren will, um Demonstrationen zu unterbinden, dann ist man sehr bald an der Grenze der Leistungsfähigkeit angelangt.

Daher barmt die Bild-Zeitung schon, die Polizei werde verheizt. Und die Gewerkschaft der Polizei befürchtet für Beamte im Dauereinsatz psychische Beeinträchtigungen durch diese andauernden Demonstrationen und sogenannten Spaziergänge. Das wird wohl nicht allein daran liegen, daß man bei Kälte auf der Straße steht statt gemütlich in der Wachstube Kaffee zu trinken und vielleicht pro Stunde mal mit dem Streifenwagen um die nächsten drei, vier Häuserblöcke fährt. Es kann auch echte mentale Gründe haben.

Insbesondere Bereitschaftspolizisten sind es gewöhnt, bei Demonstrationen angefeindet oder gar angegriffen zu werden. Wenn Linksextreme die Straßen unsicher machen. Oder auch ausländische Demonstranten benehmen sich nicht in allen Fällen wirklich zivilisiert, ob es nun Kurden sind, die wegen des PKK-Verbots sauer sind oder Araber, die in Berlin den al-Quads-Tag begehen und dabei (von der Polizei unbehelligt) volksverhetzende Parolen brüllen wie: „Hamas, Hamas, Juden in das Gas!“

Soweit es sich aber um bürgerliche Demonstranten handelt, ist die Polizei eigentlich einen friedlichen und freundlichen Ablauf gewöhnt, mit gegenseitigem Respekt und keiner oder wenig Arbeit für die Ordnungshüter.

Zweifellos wäre es auch bei den Corona- oder Anti-Corona-Demonstrationen so, wenn es da nicht Befehle gäbe, Veranstaltungen aufzulösen, Straßen mit Menschenketten zu blockieren, Demonstranten einzukesseln, Personalien einzufordern und Ordnungswidrigkeitenanzeigen zu schreiben. Verständlich, daß der normale Bürger darauf nicht gerade mit Zustimmung reagiert. Und wenn der Polizist als Büttel wahrgenommen wird, der mindestens mentale, wenn nicht gar körperliche Gewalt gegen eigentlich friedliche Bürger ausübt, mag es auch mal Leute geben, die darauf
ihrerseits gewaltsam reagieren. Das müssen nicht nur zwingend „erlebnisorientierte Jugendliche“ oder wirräugige Radikalinskis sein, das kann auch mal der brave Familienvater werden oder die Oma, die mit ihrem Krückstock gegen Beamte losgeht, die ihre Enkel oder Enkelinnen sein könnten.

Sicherlich fragt sich da der eine oder andere Beamte, ob er – oder sie – deshalb nun Polizist geworden ist! Und es ist verständlich, daß sie dann auch psychisch darunter leiden.

Es ist halt ein Unterschied, ob nur kleine, radikale Minderheiten auf die Straße gehen oder ob ein Protest aus der Mitte der Gesellschaft kommt; durchaus nicht nur von fanatischen Impfgegnern, sondern ebenso von Menschen, die sich brav haben impfen lassen, aber dagegen aufstehen, daß andere zu dem genötigt oder gar gezwungen werden sollen, was sie mehr oder minder freiwillig haben machen lassen.

Insofern ist es also nicht nur eine kritische Masse, mit der sich die Polizei auf Weisung ihrer politischen Befehlsgeber auseinandersetzen muß, sondern es ist in doppeltem Sinne eine kritische Masse: Von der Anzahl ebenso wie von der Zusammensetzung und Herkunft wegen.

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