Klassenfeinde und andere… (von Christian Worch)

Ich habe Sarah Wagenknecht gemailt. – Es mag jetzt mehr Leute geben, die mich dafür eher tadeln als loben, oder denen es egal ist, aber ich gebe es trotzdem zu. Wären die Rollen verteilt, wäre ich der Linke und sie die Rechte, und würden wir noch in der DDR leben, dann hätte ich wohl ein Verfahren wegen „Kontaktaufnahme mit dem Klassenfeind“ vor mir. (Ehrlich, ich lernte kurz nach dem Mauerfall einen jungen Ostberliner kennen, der einen Brief an den damaligen Moderator des ZDF-Magazins, Gerhard Löwenthal, geschrieben hatte, und der deshalb zu zwei Jahren Haft wegen „Kontaktaufnahme mit dem Klassenfeind“ verurteilt worden ist. Er hat glücklicherweise davon nur zwei Drittel absitzen müssen….) Aber egal. Man gönnt sich ja sonst nix!

Die Wagenknecht war mir schon vor dreißig Jahren sympathisch. Nicht nur, weil sie eine hübsche Frau ist (damals natürlich noch viel mehr als heute, aber heute immerhin auch noch), sondern vor allem, weil sie prinzipientreu war und ist. Eine Hardlinerin. Quasi stalinistisch. Und vor dreißig oder ein wenig mehr als dreißig Jahren, gerade nach dem Ende der SED-Herrschaft, war sie deshalb wirklich stark unter beschuß. Beeindruckend, wie sie es vermieden hat, den „Wendehals“ zu machen. „Wendehals“ war damals eine weit verbreitete Gattung, ehrlich!

Nur einmal ist sie ein wenig aus der Rolle gefallen, als vor rund zehn Jahren sie, die hardcore-Sozialistin, damals gut besoldete Angehörige des Europa-Parlaments, mit Mitarbeitern in Straßburg (Strasbourg) im „l’aux Armes“ dabei erwischt wurde, daß sie Hummer speiste. Klarer Fall von Salonbolschewismus! – Ich war einen Moment in Versuchung, meine damalige Gefährtin Lorena anzurufen und zu sagen: Komm, laß uns nach Straßburg fahren und im „l’aux Armes“ Hummer essen; was die Wagenknecht kann, das können wir verdammt noch mal auch!“ Lorena hätte auf der Stelle mitgemacht. Allein schon, weil sie Straßburg liebt. – Ich hatte andere Verpflichtungen und keine Zeit, und die Wagenknecht hat sich bei den öffentlichen Angriffen wegen der Hummer-Affaire gut aus der nämlichen Affaire gezogen .Sie sagte nämlich: „Sozialismus heißt für mich (auch), Hummer für alle!“ – Abgesehen von ein paar Tierschützern wird das möglicherweise jeder unterschreiben, auch wenn er kein Sozialist linker Provenienz ist.

Aber warum ich der Frau jetzt geschrieben habe, richtiger gesagt, gemailt?

Das hängt – wie heutzutage so wahnsinnig viele Dinge! – mit Corona zusammen.

Da gab es einen Talk, wo sie und der Prof. Dr. Lauterbach aneinandergeraten sind, der Mann, der ein wenig lügt, wenn er sich als „Epidemiologe“ bezeichnet. (Er hat eine Professur für „Gesundheitsökonomie“ oder so einen Kram, was eher betriebswirtschaftlich als medizinisch-fachwissenschaftlich klingt. Aber wenigstens hat er eine ärztliche Approbation, das muß man ihm zugestehen, auch wenn er in seinem Leben die ärztliche Kunst wohl eher sehr, sehr selten persönlich ausgeübt hat.)

Ich habe mir die Sendung nicht angeschaut, allein deshalb, weil ich keinen Fernseher besitze. (Schon seit einem Dutzend Jahren nicht mehr. Die Glotze nervte mich einfach. Wenn ich einen guten Film sehen will, besorge ich mir eine DVD oder streame ihn.) Aber ich habe eine Wiedergabe wesentlicher Inhalte im „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ gelesen. Und da fand ich den Prof. Dr. Lauterbach zitiert mit den Worten, „Vektorimpfungen gäbe es schon ewig“.

Einmal hat er damit möglicherweise am Thema vorbeigeredet; denn der Frau Wagenknecht mag es eher um die sehr neumodischen und vor Corona noch niemals zugelassenen mNRA-Impfstoffe gegangen sein und nicht um Vektor-Impfstoffe wie den von Astra-Zeneca oder Johnson und Johnson.

Vor allem aber hat er eine propagandistische Halblüge von sich gegeben.

„Ewig“ ist ein relativer Begriff. Ich erinnere mich gelesen zu haben, daß es Vektorimpstoffe erst seit ca. zehn Jahren gibt. Und vor allem: Es gab sie vor Corona nur gegen zwei bei uns in Europa eher exotische Krankheiten, nämliche Ebola und Dengue-Fieber. Wie die Wirksamkeit und Verträglichkeit bei der Ebola-Impfung ist, habe ich nicht herausbekommen können. Über das Dengue-Fieber war eine Studie mit immerhin 31.000 Probanden zu finden: Wirksamkeit ca. 66 Prozent, Verträglichkeit gut. – Gaaaanz falsch lag also Prof. Dr. Lauterbach nicht, aber er hat nur einen Teil der Wahrheit erzählt. Was für einen Wissenschaftler, sagen wir, fragwürdig ist….

Das habe ich die Frau Wagenknecht wissen lassen.

Mag sein, daß sie es ohnehin wußte; sie ist eine intelligente Frau, und in Zeiten des Internet kann man fachwissenschaftliche Informationen auch bekommen, ohne sich, wie früher, sauteure Fachbücher kaufen zu müssen. Mag auch sein, daß sie es zwar wußte, aber im Rahmen einer Talkshow nicht auf jedes Detail eingehen konnte; anders als bei Parlamentsdebatten gibt es da ja auch eine Art Redezeitbeschränkung, die einfach darin begründet ist, daß es Anschlußsendungen gibt, die sich nicht verspäten sollen. Trotzdem, nur so für den Fall der Fälle, habe ich es ihr gemailt.

Und damit die Kontaktschuld auf mich genommen.

Nun ist das ja eine rein virtuelle Kontaktschuld, und ich werde deshalb nicht in Quarantäne gehen müssen. Und selbst wenn, was kümmert mich das.

Und ob das alles politisch überhaupt eine Rolle spielt?

Ja, eigentlich schon. Denn neben allen Nachteilen, die Corona mit sich gebracht hat, hat es doch einen Vorteil gebracht: Die alten Fronten verschwimmen. Nicht allgemein, aber in der einen oder anderen Frage stehen sich Linke und Rechte aller Schattierungen plötzlich näher als die vielgerühmten Vertreter der Mitte, die Herde. Wir brauchen uns nur die Bilder der großen „Querdenker-Demos“ vom letzten Jahr anzuschauen. Da stand der Alt-Hippie neben dem kahlgeschorenen oder gescheitelten Jungrechten, und beide hatten ein gemeinsames Anliegen, das ihnen wichtige war als ihre sonstigen Unterschiede, ihre politischen Feindlichkeiten. Und während die Spaltung der Gesellschaft sonst traditionell zwischen „links“ (oder: eher links….) und „rechts“ (oder:
eher rechts….) verlief, verlief sie plötzlich zwischen Maßnahmen-Befürwortern und Maßnahmen-Gegnern; und heute zwischen Geimpften und Nicht-Geimpften. Mit ein paar „Querfrontlern“ die zwar geimpft sind, aber sich für die Rechte der Nicht-Geimpften einsetzen.

Und da kam’s dann schon mal zur Kontaktaufnahme mit dem Klassenfeind kommen. Oder zur Kontaktaufnahme durch den Klassenfeind. Wie immer die linke Sozialisten Wagenknecht den rechten Sozialisten Worch sehen will.

von Christian Worch

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