Norbert Lammert, seines Zeichens Bundestagspräsident, hat einen klugen Satz von sich gegeben. Möglicherweise ist ihm nicht einmal bewußt, wie klug dieser Satz ist. Oder, umgekehrt betrachtet, wie gefährlich er im Sinne jener politischen Kaste ist, zu der Herr Lammert zwangsläufig nun auch mal zählt, die ihn hervorgebracht hat, die ihn stützt (und ihn genauso schnell fallen lassen kann) und der er seinerseits natürlich in Treue fest verbunden ist.
Der kluge Satz ist, daß Europa mehr als der Euro ist. Daß der davor gewarnt hat, die europäische Idee auf ökonomische Fragen zu verkürzen.
Was aber ist die europäische Idee?
Europa ist zunächst einmal ein Kontinent, gern auch der alte Kontinent genannt, um einen Gegensatz zur „Neuen Welt“ zu schaffen, die 1492 von Kolumbus entdeckt wurde. (Vorherige Entdeckungen durch die Wikinger lassen wir mal außen vor, weil diese letztlich ohne politische und historische Konsequenzen blieben und daher lediglich von historischem Interesse sind.) Europa ist nicht unbedingt die Wiege der Kultur; diesen Ruhm darf wohl in erster Linie der Mittlere Osten für sich beanspruchen. Aber die dort entstandene Kultur setzte sich letztlich nicht durch und bleibt daher ebenso von rein historischem Interesse wie der Umstand, daß fast ein halbes Jahrtausend vor dem Kolumbus der amerikanische Doppelkontinent von Nordeuropäern entdeckt wurde.
Europa ist aber die Wiege dessen, was wir als abendländische Kultur begreifen. Wobei vielfach versäumt wird, zwischen Kultur und Technik klar zu unterscheiden. Kulturell war uns die asiatische Welt im Mittelalter zweifellos überlegen. Aber während die Chinesen das Schießpulver, das sie Jahrhunderte vor uns Europäern entdeckt hatten, für Freudenfeuerwerke oder zur Vertreibung vermeintlicher böser Geister relativ friedlich verwendeten, baute man in Europa Kanonen und Musketen und beherrschte mit diesen für einige Jahrhunderte die ganze Welt. Militärische Technokraten gab es schon, lange bevor wir den Begriff „Technokraten“ überhaupt nur in unseren Wortschatz übernommen haben.
Während die europäischen Mächte den größten Teil der Welt beherrschten, und das auf eine für die Ureinwohner der betroffenen Gebiete durchaus nicht sehr erfreuliche Weise, lagen sie untereinander in ständigem Streit, der weit seltener ein friedlicher Wettstreit war als viel öfter in Kriegen eskalierte.
Machtpolitisch gesehen also war Europas tausendjährige Zerstrittenheit der Grund für den Untergang eben dieser Weltherrschaft, wie immer man sie bewerten möchte.
Zweifellos ist das prägend. Und zweifellos ist es eine positive Entwicklung, daß in Europa seit zwei Dritteln eines Jahrhunderts Frieden herrscht, auch wenn dieser Frieden über viele Jahrzehnte hinweg ein glücklicherweise ziemlich kalter Krieg war. Der letztlich durch den Zusammenbruch des kommunistischen Sowjetimperialismus ein Ende gefunden hat. Ein Ende, das nach der vorherigen Annäherung der westeuropäischen Völker zueinander nun auch eine Annäherung von ost- und westeuropäischen Völkern ermöglicht, einschließlich eben jenes Rußlands, das historisch gesehen weit eher zu Europa zu zählen ist als zu Asien.
Wenn eine Annäherung der Völker heißt, daß Frieden herrscht und daß ein Austausch von Wissenschaft und Technik möglich ist und auch ein wirtschaftlicher Austausch, dann wird niemand etwas dagegen einwenden.
Eine Annäherung heißt aber nicht: Ein Zusammenwachsen. Selbst wenn wir unterschiedliche Geschichten der Völker ausblenden und selbst wenn wir sagen, daß die kulturellen Unteschiede zwischen den Völkern Europas geringer sind als die zwischen irgendeinem europäischen Volk und außereuropäischen Völkern, bleibt noch immer das Problem verschiedener Sprachen.
Daher wird sich eine europäische Regierung niemals etablieren lassen; es sei denn als Diktatur, die nicht dem Willen der Völker entspricht.
Eine Währung ist von der Sprache unabhängig; die Sprache des Geldes ist universal, das ist richtig.
Aber eine gemeinsame Währung ist keine Voraussetzung für ein friedliches Nebeneinander und teilweises Miteinander. Vor allem dann nicht, wenn die wirtschaftlichen Unterschiede zwischen verschiedenen Teilen Europas so gravierend sind wie heutzutage, was sich wohl schwerlich im Laufe weniger Jahrzehnte ändern kann.
Der Euro als Währung ist mithin nicht notwendiger Bestandteil der europäischen Idee, wie Herr Lammert richtig festgestellt hat.
Nur den nächsten Denkschritt hat er nicht zu tun gewagt. Daß der Euro durch die sozialen Spannungen zwischen den Völkern des Kontinents der europäischen Idee eher abträglich als förderlich ist.
Durch den Euro ist Europa weniger, als es sein könnte. Durch die im Prinzip bereits vollendete Transferunion wird der Gedanke der Völkerverständigung eher geschädigt als gefördert.
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