Der Flickenteppich des Föderalismus

Die 1949 entstandene Bundesrepublik Deutschland ist ein föderaler Staat. Das heißt, wir haben eine Bundesregierung und 16 in vielen Dingen unabhängige Landesregierungen, Zustande gekommen ist das weniger aus eigener freier Entscheidung des „Parlamentarischen Rates“, der das Grundgesetz der BRD geschaffen hat (über das man vorsorglich das Volk nie direkt hat abstimmen lassen und das mithin damals „alternativlos“ war), sondern auf Drängen der drei westalliierten Siegermächte. Dabei war es vor allem unser französischer Nachbar, der drängelte. Denn vor der später folgenden Aussöhnung mit der Grande Nation betrachtete Frankreich uns noch immer als „Erbfeind“. Und Frankreich wußte sehr wohl die Vorteile einer starken Zentralregierung zu schätzen! Um Deutschland nicht wieder, wie nach dem Ersten Weltkrieg, in kürzester Zeit stark werden zu lassen, möglicherweise stärker als den südwestlichen Nachbarn, wollten und bekamen sie den deutschen Föderalismus.

Dessen manchmal bizarre Folgen erleben wir jetzt in Corona-Zeiten.

In Nordrhein-Westfalen haben die Baumärkte für jedermann offen.

In Bayern sind sie vollständig und radikal geschlossen.

Und in Niedersachsen haben sie zwar – theoretisch – offen, dürfen aber nur an Handwerker verkaufen, die sich mit Vorlage ihres Gewerbescheins als Gewerbetreibende ausweisen. Wobei so eine Regelung in der Praxis nicht das Papier wert ist, auf dem sie gedruckt ist. Einen Gewerbeschein hat auch Ali Mehmet mit seiner Döner-Bude oder Mamma Mia mit ihrer Pizzeria Picante….

Noch bizarrer wird die Situation, wenn wir uns die Einschränkungen des sowohl öffentlichen als auch privaten Lebens anschauen, die seit (teilweise) letztem Freitag und (überwiegend) letztem Sonntag, dem 22.
März, gelten.

In fünfzehn deutschen Bundesländern ist per Rechtsverordnung ein „Kontaktverbot“ sowohl im öffentlichen als auch im privaten Raum: Es dürfen auf der Straße nicht mehr als zwei Personen zusammen sein. (Außer, wenn sie Familienmitglieder sind oder in häuslicher Gemeinschaft
leben.) Auch Skatrunden sind (mit den genannten Ausnahmen) verboten, weil zum Skat immerhin drei Personen gehören und drei einer mehr ist als zwei…. Und seine beiden besten Freunde zu einem geselligen Bier in privater Runde in der eigenen Wohnung darf man auch nicht mehr einladen, sofern nicht der eine davon sein Vetter ist oder der andere sein Untermieter….

Das ist schon eine krasse Einschränkung (deren Notwendigkeit man als ein wenig fraglich ansehen darf), aber die Bayern möchten es immer gern noch eine Nummer krasser haben als der Rest der Republik. Deshalb ist schon vor der Telefonschalte zwischen Kanzlerin Merkel und den sechzehn
Ministerpräsident/innen der Bayer Söder vorgeprescht und hat für Bayern eine reguläre Ausgangssperre verhängt. DAS hat es in der Form weder im letzten Weltkrieg noch durch die alliierten Besatzer in den ersten Nachkriegsjahren gegeben!

Da fragt sich der politisch interessierte Mitmensch, wie lassen sich so durchaus unterschiedliche „Lebensverhältnisse“ in ein und dem selben Staat, nur eben unterschiedlichen Bundesländern, eigentlich im Lichte des Gleichbehandlungsgrundsatzes aus Artikel 3 des Grundgesetzes erklären? Die derzeitige Krise ist durchaus auch eine Gelegenheit, die Frage nach einer sinnvollen, für solche Fälle sogar notwendigen Staatsreform zu stellen. Denn daß irgendwann einmal eine Pandemie kommen würde, war unter Wissenschaftlern völlig klar; die Frage war nur, wann und in welchem Ausmaß beziehungsweise mit welchen menschlichen Verlusten. So was hätte schon bei SARS passieren können, es hätte bei EBOLA passieren können, es hätte bei MERS passieren können. Und es kann nach COVID 19 neuerlich passieren – in einem Jahr, in zehn Jahren, in fünfzig Jahren oder im günstigsten Fall nie. Aber passieren kann es. Und dann wäre es besser, wenn es nicht einen Flickenteppich an regionalen und gar lokalen Regelungen gäbe, sondern einheitliche, vom tiefsten Bayern bis auf die nördlichste Insel Deutschland im Bundesland Schleswig-Holstein.

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