Die Frage, was heutzutage konservativ ist, ist ein wenig abhängig vom eigenen Standpunkt. Wenn vor sagen wir dreißig Jahren jemand gemeint hat, ein deutscher Bundespräsident, Angehöriger der CDU, könnte erklären, „der Islam gehöre zu Deutschland“, hätten sich alle an die Stirn getippt. Und Konrad Adenauer würde heute wohl nicht nur als rechtsextrem gelten, sondern seiner apologetischen Aussagen gegenüber der Mehrzahl der Angehörigen der ehemaligen Waffen-SS wären nach dem neuen § 130 Abs. 4 vermutlich sogar strafbar! Wäre ein kleiner Witz der Geschichte: Die menschenverachtend-brutalen Nazis haben Adenauer nur zweimal für eher kürzere Zeit eingesperrt (anläßlich des sogenannten Röhm-Putsches für zwei Tage und dann nach dem Attentat vom 20. Juli 1944 bis ungefähr November 1944). Bei heutigen BRD-Demokraten müßte er möglicherweise mit längerer Haftzeit rechnen als diese rund vier Monate…

Das Beispiel allein zeigt, wie weit sich die CDU von der Partei entfernt hat, die sie zur Zeit ihrer Gründerväter war. Nun gut, da liegen 66 Jahre zwischen. Man könnte an Udo Jürgens Schlager denken: „Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an, mit 66 Jahren, da hat man Spaß daran…“ Oder auch an den inzwischen verstorbenen Curd Jürgens: „60 Jahre und kein bißchen weise…“ Wenn die CDU heute Positionen einnimmt, die man vor dreißig Jahren den Sozialdemokraten zugeordnet hätte; wenn die SPD ihrerseits Positionen einnimmt, die man vor dreißig Jahren bei den damals noch rebellischen GRÜNEN verortet hätte, und wenn die GRÜNEN ihrerseits – nein, das führen wir nicht weiter aus, damit uns die Anwälte der GRÜNEN nicht auf Unterlassung verklagen können!

Wie wenig die CDU noch mit einer bürgerlichen Partei zu tun hat, beweisen die Ereignisse um den „Berliner Kreis“. Dieser hat ein konservatives Manifest herausgegeben. Die WELT, nicht gerade im Verdacht, politisch links zu stehen, bezeichnet es allerdings als Dokument der Niederlage. Dabei geht es nicht um den Inhalt. Dieser klinge eigentlich, mein die WELT, wie solche Papiere der CDU schon immer geklungen hätten: „Die deutsche Sprache soll im Grundgesetz verankert werden, das Schulsystem soll „mehrgliedrig“ bleiben, die Arbeitswelt soll sich der Familie anpassen und nicht umgekehrt, das Ehegattensplitting soll erhalten bleiben, kein gesetzlicher Mindestlohn eingeführt werden, die Türkei gehöre nicht zu Europa.“

Es geht eher um den Kreis an sich.

Solange dieser sich darin erschöpfte, Hinterzimmerrunden zu bilden und bei einer Tasse Tee oder Kaffee den Niedergang der Union und christlicher Werte und des Abendlandes oder sonst was zu beklagen, störte er von den CDU-Mächtigen niemanden. Das kann man auch bei der Senioren-Union haben, und die stört auch niemanden, weil ihr biologischer Verfall absehbar ist. Es geht mehr darum, daß die CDU keine „neuen Strukturen“ innerhalb ihrer eigenen Partei haben möchte. So drückte es Generalsekretär Hermann Gröhe ziemlich deutlich aus. Und die konservativen vermeintlichen Rebellen erwiesen sich nicht als sonderlich rebellisch. Sie haben zwar ihr Manifest vorgelegt, aber sie haben sich weder eine Struktur gegeben noch einen Sprecher nominiert. Wohl nicht nur die WELT wertet das so: „Der konservative Unmut kann weiter artikuliert werden, wird aber nicht innerparteilich relevant.“

Wenn er nicht einmal innerparteilich relevant wird, wie soll er dann überhaupt irgendwo und irgendwem gegenüber relevant werden? Ausgenommen kleine Kreise von Leuten, die im Hinterzimmer Tee oder Kaffee trinken?

Also eine reine Augenwischerei. Nicht einmal ein kleiner Kontrapunkt gegen den Deutschland seit gut vierzig Jahren immer schneller erfassenden Linkstrend. Stromlinienform bis an die Grenze der Nicht-mehr-Wahrnehmbarkeit.

Außer, wenn man WELT liest. Aber auch das tun zunehmend weniger Menschen.

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