Braunschweig hat Probleme. Da ist als erstes schon mal der Name: BRAUN! Geht ja eigentlich gar nicht! Seit die SA in ihren braunen Hemden Adolf Hitler den Weg zur Macht freigekämpft hat, steht „braun“ mehr oder minder synonym für „Nazi“. Warum kann man nicht Grünberg heißen wie die Kleinstadt in Hessen? Rothenburg wie die malerische mittelalterlich geprägte Stadt ob der Tauber? Oder Schwarzenberg, wie die Große Kreisstadt im sächsischen Erzgebirge? Aber nein, es muß ausgerechnet BRAUNschweig sein. Das ist echt eine Hypothek!
Noch schlimmer ist vielleicht, daß Braunschweig von bösen Zungen gern auch „Einbürgerungsstadt“ genannt wird. Denn hier wurde am 25. Februar 1932 der gebürtige Österreicher Adolf Hitler in das Deutsche Reich eingebürgert. Zwar war es nicht die Stadt Braunschweig, die das veranlaßte, sondern der damals noch existierende „Freistaat Braunschweig“, eines der Länder der Weimarer Republik, inzwischen im Lande Niedersachsen aufgegangen. Aber an Braunschweig blieb die Sache kleben wie eine gewisse zähe braune Masse, die von Hunden hin und wieder abgesondert wird und Schuhsohlen verschmutzt.
Da kann man dann verstehen, daß BRAUNschweig in mancher Hinsicht sehr, sehr sensibel ist, hypersensibel, beinahe schon panisch.
Deshalb wohl erließen sie für die Abschlußkundgebungen zum dortigen Kommunalwahlkampf der Partei DIE RECHTE am 11. September eine etwas sperrig klingende Auflage. Wörtlich lautete sie: „Das Skandieren von Parolen die einen Bezug zum Nationalsozialismus aufweisen und essen territorialen Dominanzanspruch für die Stadt Braunschweig behaupten, anmahnen oder sonst zum Ausdruck bringen, wird untersagt“.
Die knapp eine eng bedruckte Seite Begründung wird hier nicht wiedergegeben; allerdings läßt sich ihr entnehmen, daß die Sadt damit in erster Linie den Sprechchor „Braunschweig – Nazi-Stadt“ verhindern wollte.
Eigentlich zu lächerlich, um dagegen ein Gericht anzurufen.
Aber Repression macht Appetit auf mehr; das erleben wir ja nicht zuletzt mit den Corona-Einschränkungen, von denen die eine oder andere doch ein wenig abenteuerlich war. (Und von denen auch gar nicht einmal wenige von Gerichten aufgehoben worden sind.)
Merkmal einer versammlungsrechtlichen Auflage ist, daß sie nur und ausschließlich während der Versammlung gilt: Nicht davor, und auch nicht danach. Nur so kann – exklusiv für die Dauer der Versammlung – ein Verhalten verboten werden, das ansonsten nach den allgemeinen Gesetzen nicht verboten wäre.
Offenbar wußte das aber die Bundespolizei nicht. Als ein paar Bahnreisende weit vor Beginn der ersten Veranstaltung und örtlich rund einen Kilometer entfernt, den Sprechchor „Braunschweig – Nazi-Stadt“ rief, wurden sie erst einmal allesamt „gekesselt“ und ihre Personalien überprüft. Danach wurde den gut vierzig Teilnahmewilligen untersagt, sich u Fuß (Wegstrecke gerade mal eine Viertelstunde) zum Versammlungsort zu begeben, und sie wurden angewiesen, daß sie mit der dorthin fahrenden Straßenbahn nur in Grupoen zu fünf Personen fahren dürften. Das bewirkte natürlich eine erhebliche Verzögerung des Anfangs der Versammlung.
Aber die Vertreter von Papa Staat waren noch nicht am Ende ihres Lateins, was Repression betrifft. (Die Sprachwurzel von „Repression“ ist das lateinische „repressio“, zurückdrängen, zusammengesetzt aus dem Präfix „re“ = zurück und dem Wort „pressio“ für „Druck“ bzw. „drängen“.)
Auf der Kundgebung trugen unser Bezirksratskandidat Martin Kiese und seine Frau T-Shirts mit dem Aufdruck „Braunschweig – Nazi-Stadt“. Zwar untersagte die Auflage nur das Skandieren von Parolen des Inhaltes, nicht ihr stummes Zeigen als Aufdruck auf Kleidung oder Bannern, aber das war der Polizei egal; die beiden wurden „verdonnert“, während der Kundgebung ihre Jacken geschlossen zu halten, damit niemand das lesen konnte. Und ihnen wurde nach der Kundgebung mitgeteilt, die Teilnahme an der nächsten Kundgebung werde – egal, ob Jacke zu oder Jacke auf! – ihnen nur erlaubt, wenn sie diese T-Shirts nicht mehr tragen würden.
Also fuhr Kandidat Kiese nach hause, das glücklicherweise nicht weit entfernt war, und zog ein anderes T-Shirt an und brachte für seine Frau ein anderes mit. Er hatte daraufhin den Aufdruck „Antisemit“, sie firmierte mit Aufdruck „Nazi-Braut“.
Während an einer Nazi-Braut niemand Anstoß nahm, untersagte die Polizei Martin Kiese auch das Tragen des T-Shirts mit der Selbstbezichtigung „Antisemit“. Auf welcher Rechtsgrundlage, bleibt wohl ein Geheimnis.
Unverdrossen fuhr Martin Kiese erneut nach hause und kam dann in einem T-Shirt mit einer Comic-Figur zurück, aufgemacht im Stil eines Fahndungsplakates. Oben stand WANTED, darunter waren zwei Bilder von Paulchen Panther, wie auf einem solchen Plakat üblich einmal vorn, einmal von der Seite, und darunter „PINK PANTHER“.
Damit kam er gar nicht erst zu dritten Kundgebung: Bereits auf dem Weg dorthin wurde er ergriffen, seines T-Shirts beraubt und bis gegen 21.00 Uhr seiner Freiheit beraubt.
Es ist ein wenig bizarr.
Man stelle sich mal vor, eine neue NS-Untergrund-Terror-Organisation käme auf den Gedanken, ihre Bekennervideos mit dem beliebten jüdischen Volkslied „hava nagila“ zu unterlegen. Wird dann künftig auch verboten, auf Demonstrationen „hava nagila“ zu singen oder abzuspielen? – Bei solchen Perspektiven kann man nur laut eine Textzeile aus dem Lied rufen: „Uru, achim, uru!“ (Hebräisch für: Erwachet, Brüder, erwachet!“)
Gegenüber dem geradezu tollwütigen Wirken der Staatsmacht traten die eigentlichen Veranstaltungen dann beinahe schon in den Hintergrund. Ein paar Details seien trotzdem erwähnt. Auf dem Schloßplatz zählte die Polizei unsererseits 65 Teilnehmer, was sich ungefähr mit meiner Schätzung deckt. Die Zahl der Gegendemonstranten wurde von der Ordnungsmacht mit 200 veranschlagt. Es war ein „breites gesellschaftliches Bündnis“, das, passend zur am 12. September stattfindenden Kommunalwahl allen Kandidaten für das Amt des Oberbürgermeisters jeweils fünf Minuten Redezeit einräumte. Allen? Ach nein, man hat wohl versäumt, den Kandidaten der AfD einzuladen… Also formulieren wir es in Neusprech mal um: Man hatte alle Kandidaten des demokratischen Konsens eingeladen. Nur auf den Begriff „Nationale Front“ wie in der DDR hatte man verzichtet.
Bei unserer zweiten Kundgebung auf dem Nibelungenplatz war die Gegenveranstaltung dann erheblich überschaubarer; mit fünfzig Leutchen ist sie schon fast überschätzt. Treibende Kraft hier war die „Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands“ (MLPD), die in Braunschweig ein wenig darunter zu leiden scheint, daß andere linke Organisationen mit ihr nicht so viel zu tun haben möchten. Na, ist doch klar! Wer sich heute noch „Marxist-Leninist“ nennt, erscheint ein wenig aus der Zeit gefallen. Der moderne Linke ist entweder grün-divers oder läuft als Autonomer schwarz vermummt herum; beides ist hip; der ML it schlicht und ergreifend old fashioned. Oder, um es deutlicher zu sagen: ein wenig großväterlich-miefig….
Als dritter Kundgebungsort war der Tostmannplatz vorgesehen. Dort hätte uns eine Trommelgruppe beglücken bzw. Musikalisch begleiten wollen. Nur bekamen sie für ihren Einsatz leider keine Gelegenheit. Denn aufgrund der vorgehenden Ereignisse entschieden wir uns, die Abschlußkundgebung auf den Bahnhofsvorplatz zu verlegen (was auch für die Bahnreisenden insofern günstig war, weil sie damit den letzten Zug in Richtung Heimat bequem erreichen konnten). Die Trommler waren leider nicht flexibel genug, dorthin nachzurücken. Der Technische Zug der Polizei hatte das besser drauf. Rasch karrten sie die am ersten Veranstaltungsort schon abgebauten „Hamburger Gitter“ wieder heran und bauten sie am Bahnhof auf. Da war wenigstens noch mal deutscher Organisationsgeist und handwerkliches Geschick zu sehen… – Der Gegenprotest erschöpfte sich mit rund einem Dutzend autonomer Schreier, die immerhin trotz ihrer Autonomie wenigstens gelegentlich Sprechchöre zustande brachten.
Somit hatten wir also wieder einmal ein schönes Lehrstück angewandter Bürgerfreiheit. Allerdings hat die Stadt Braunschweig jetzt auch einen Prozeß am Hals; nämlich eine Fortsetzungsfeststellungsklage gegen ihre Auflage.
Und außerdem ist natürlich noch einmal der rosarote Panther zu bemühen. An der Auswahl eines Termins für die nächste Demonstration in Braunschweig wird schon gearbeitet. Ganz nach dem Motto: „Heute ist nicht alle Tage; wie kommen wieder, keine Frage!“
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