Wir, das Volk… So beginnt die Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten von Amerika, die vor nunmehr rund 240 Jahren dazu führten, daß die USA heutzutage der mächtigste Staat auf der Erde sind.

Nach Ansicht der britische Krone war das zweifellos „eine kriminelle Farce“. Und im Gegensatz zu den Ereignissen am letzten Sonntag in der Ukraine gab es noch nicht einmal ein Referendum mit Wahlurnen, gleichviel ob hölzern oder aus transparentem Plastik, und ein paar Millionen Stimmzetteln. Es waren nur knapp 50 Abgeordnete des National-Congresses, die die Erklärung verabschiedeten und unterzeichneten.

Gerade die USA, deren Gründung mithin nach ihren heutigen Maßstäben gegenüber den Regionen Luhansk und Doneszk „illegal“ war, sollten sich mit solchen Einschätzungen vielleicht ein wenig zurückhalten; ähnlich wie die Staaten der Europäischen Union, die in dieser Angelegenheit die getreuen Vasallen des selbsternannten „Weltpolizisten“ USA spielen.

Natürlich kann man an dem Referendum eine Menge sachliche Kritik üben. Die provisorische Zentralregierung in Kiew stellte keine Wahlunterlagen zur Verfügung. Was man nicht den Separatisten in der Ost-Ukraine anlasten kann. In einer Ortschaft verhinderten Regierungstruppen nicht nur die Abstimmung gewaltsam, sondern schossen dabei auch noch in die Menge und töteten mindestens einen Wähler. Auch so kann man Wahlen manipulieren, indem man Wahlwillige einfach umlegt…. Auch das geht nicht zu Lasten der Separatisten. Und daß es in einer halb-Millionen-Stadt wie Mariupol gerade mal acht Wahllokale gab, entspricht auch nicht modernen demokratischen Standards. Die Bevölkerung drängte trotzdem dorthin, so daß letztlich Wahlurnen auf offener Straße aufgestellt wurden, damit auch jeder, der wollte seine Stimme abgeben konnte. Und der Einwand, daß es keine internationale Beobachtung dieser Wahlen gab, greift auch nicht: Schließlich war keine der infragekommenden Organisationen dazu bereit, nachdem „der Westen“ einhellig das Referendum für „illegal“ erklärt hatte.

Allerdings waren bei den örtlichen Behörden – was die bewaffneten Separatisten einschließt – nicht weniger als 470 ausländische Journalisten akkreditiert. Sowohl diese als auch viele Privatpersonen verbreiteten eindrucksvolle Photos und Videos von langen Warteschlangen Wahlwilliger; nicht nur in Mariupol, wo es nur wenige Wahllokale gab, sondern auch da, wo an jeder zweiten Straßenecke eines war.

Seltsam, daß die durch illegitime Gewaltanwendung an die Macht gekommene Übergangsregierung in Kiew das jetzt als „kriminelle Farce“ bezeichnet. Eine Sprachregelung, die garantiert nicht zur De-Eskalation beiträgt. Aber aus Kiew ist De-Eskalation ersichtlich nicht gewünscht. Und das hat Gründe, die zwar verständlich, aber nicht tragfähig sind.

Die geradezu gebetsmühlenhaft beschworene Unteilbarkeit der Ukraine hat konkrete wirtschaftliche Gründe. Die Region Donbas – also hauptsächlich die überwiegend von Separatisten kontrollierten Bezirke Luhansk und Doneszk – hat Bodenschätze und Schwerindustrie, die sie als selbständigen Staat mit etwa 7 Millionen Einwohnern wirtschaftlich lebensfähig machen würde. (Die Schweiz hat auch nicht so viel mehr, nur mal zum Vergleich.) Ärmlicher sähe es da für die Westukraine aus. Denn der durch Korruption und Oligarchie heruntergewirtschaftete Staat wäre ohne die Steuereinnahmen aus seinem industriealisierten Osten wohl noch weniger lebensfähig, als er ohnehin ist.

Letztlich aber ist egal, ob man das Referendum als „legal“ oder „illegal“ oder als verbindlich oder als eine reine Meinungsumfrage betrachtet. Es hat sich eindrucksvoll gezeigt, daß die große Mehrheit der Menschen in der betroffenen Region keinerlei Vertrauen mehr zu der unter fragwürdigen Umständen an die Macht gekommene Übergangsregierung in Kiew hat. Das Ausräuchern von mehr als 40 prorussischen oder separatistischen Aktivisten in Odessa durch Brandstiftung oder Schüsse von regierungstreuen Einheiten auf unbewaffnete Bewohner in Mariupol haben die offenbar bereits vorhandene Grundstimmung extrem verstärkt.

Auch wenn USA, EU und die vielbeschworene „Weltgemeinschaft“ weiterhin den Glaubenssatz von der unantastbaren territorialen Integrität der Ukraine vor sich hertragen – zu verhindern ist die Teilung des Kunststaates nicht mehr. Letztlich wird es damit gehen wie mit dem früheren Jugoslawien. Man kann den Menschen in der Region nur wünschen, daß es dabei dann weniger blutig zugehen wird als im vormaligen Tito-Staat.

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