Je dichter der NSU-Prozeß in München rückt, desto größer wird das mediale Interesse. Neben einem Haufen Informationsmüll dringen gelegentlich auch ein paar Dinge durch, die von wirklicher Bedeutung sind.

Das Oberlandesgericht hat eine Sicherheitsverfügung erlassen, daß die Anwälte von Beate Zschäpe vor jeder Verhandlung körperlich zu durchsuchen sind, um eventuelles Hineinschmuggeln von Waffen oder Sprengstoffen zu verhindern. (Oder vielleicht eine Selbstmordpille für die Frau, was sicherlich den allermeisten Politikern die angenehmste Lösung wäre.)

Die Anwälte Wolfgang Stahl und Wolfgang Heer und ihre Kollegin Anja Sturm sind darüber nicht gerade amüsiert. Sie sehen darin eine Diskriminierung. Advokatisch geschickt begnügen sie sich nicht mit ihrem Protest, sondern machen dem Gericht einen Vorschlag zur Güte, wie einerseits eventuelle Sicherheitsbedenken zerstreut werden könnten, andererseits aber auch Diskriminierung der Zschäpe-Verteidigung vermieden wird. Dann sollten sich doch bitteschön auch Richter, Bundesanwälte und Polizisten durchsuchen lassen! Eigentlich keine schlechte Idee.

Ein anderes Detail ist zwar nicht zwingend diskriminierend, aber trotzdem irgendwo zumindest unterschwellig interessant. Das Oberlandesgericht ließ den Sitzungssaal für 1,2 Mio Euro umbauen. Das allein ist noch nicht schlimm – eine ähnliche Summe haben ja die Hinterbliebenen oder angeblichen oder tatsächlichen NSU-Opfer erhalten. Hält sich also noch im Rahmen. (Und anders als Entschädigungen sind Umbau- und Modernisierungsmaßnahmen sogar von bleibendem Wert. Da weiß der Steuerzahler genau, was er für sein Geld bekommen hat.) Interessant dabei ist, daß das vorher im Saal befindliche Kreuz nach den Umbaumaßnahmen nicht mehr da ist. Hat man vergessen, es wieder aufzuhängen? Oder ist das Rücksichtnahme auf die türkischen Prozeßbeobachter, seien es nun Privatleute (oder Diplomaten oder Parlamentarier) oder Medienvertreter. Wenn das der Grund ist, dann fragt sich, ob der nächste Schritt nicht wäre, in deutschen Gerichtssälen gleich den Halbmond oder die türkische Flagge aufzuhängen…

Die besagten Medienvertreter türkischer Herkunft – oder zumindest drei von ihnen -haben inzwischen für den Prozeß garantierte Plätze, auch wenn man noch nicht weiß, wer genau dort im Saal vertreten sein wird. Die Verfassungsbeschwerde beziehungsweise der Eilantrag der Zeitung „Sabah“ war im wichtigsten Punkt erfolgreich. Das Bundesverfassungsgericht wies in einer Einstweiligen Anordnung das Oberlandesgericht München an, es müsse ein zusätzliches Kontingent von mindestens drei Presseplätzen geschaffen werden, die exklusiv an ausländische Medien zu vergeben seien, die ein besonderes Interesse an dieser Verhandlung geltend machen könnten. Das werden im Zweifelsfall türkische sein; denn griechische Medien haben sich nicht angemeldet. (Eines der neun ausländischen angeblichen NSU-Opfer war Grieche, was allgemein als wenig verständlich gilt.)

Die Schaffung dieser „zusätzlichen Plätze“ ist nur bei oberflächlicher Betrachtung zusätzlich. Wahrscheinlich wird das zu Lasten der Plätze gehen, die für Nicht-Journalisten vorgesehen sind. Das waren vorher 51 im Gegensatz zu 50 Journalistenplätzen, womit das Oberlandesgericht möglicherweise andeuten wollte, daß es normale Bürger in der breiten Masse für ein ganz kleines bißchen wichtiger hält als die Vertreter der Medien. Das Verfassungsgericht meint hingegen, die Öffentlichkeit – die eigentlich Öffentlichkeit und nicht die ver-öffentlichte Meinung oder deren Vertreter! – sei mit 47 Plätzen noch hinreichend repräsentiert. In Karlsruhe also genießen Medienvertreter in ihrer Gesamtheit offenbar einen höheren Rang als der Normalbürger in seiner Gesamtheit. Auch das ist interessant zu erfahren.

Rein von der juristischen Seite her mag der Karlsruher Beschluß in Ordnung gehen. Denn es hat in der Tat – geringfügige – Ungleichbehandlungen beim sogenannten „Windhund-Prinzip“ gegeben. Journalisten, die zufällig oder dank eines Tips an einem bestimmten Tag die Pressestelle des Oberlandesgerichts angerufen haben, haben Hinweise auf das wahrscheinliche Akkreditierungsverfahren erhalten, die andere Journalisten eben nicht bekommen haben. Außerdem hatte die Pressestelle des Gerichts wohl Probleme mit moderner Kommunikationstechnik. Sie schickte eine Rundmail an diverse Journalisten beziehungsweise Medien. Die konnte aber nicht abgesandt werden, weil einige Adressen fehlerhaft übertragen waren. Was ja nun nicht die Schuld derer war, die die Eigentümer diese e-mail-Adressen sind. Da hatte irgendjemand schlicht und ergreifend ein paar Tippfehler produziert. Deshalb wurden die Adressen, für die es Fehlermeldungen gab, erst einmal aus dem Verteiler herausgenommen, um die anderen gleichzeitig versenden zu können. Die fehlerhaften Adressen wurden dann korrigiert und ebenfalls mit der Rundmail beliefert, aber zu einem Zeitpunkt, wo die ersten der anderen sich bereits hatten akkreditieren lassen.

Natürlich hätte man beim bundesdeutschen Höchstgericht sagen können: Diese Ungleichbehandlung – die Rede ist von einer Zeitdifferenz von ungefähr einer halben Stunde! – wiegt so gering, daß sie keine Einstweilige Anordnung rechtfertig. Man hat das aber anders gesehen. Oder anders sehen wollen. Womit auch das Verfassungsgericht sich jetzt dem Vorwurf ausgesetzt sieht, einen Kotau vor türkischen Befindlichkeiten gemacht zu haben.

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