Politiker lieben eine drastische, bisweilen sogar militaristisch klingende Sprache. Da führt man beispielsweise Wahlkämpfe, und ein politischer Umzug wird zur Abgrenzung von Karnevalszügen halt nicht als Umzug bezeichnet, sondern als Demonstrationsmarsch. Oder gar als Aufmarsch.

Deshalb wundert es auch nicht wirklich, daß Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht von der CDU eine „vorsätzliche Torpedierung des NPD-Verbotsverfahrens“ sieht. Besonders bei einem Mann mit dem klingenden Namen Stahlknecht darf man derlei starke Worte doch fast schon als gegeben ansehen, „nomen est omen“, der Name ist von Vorbedeutung.

Was sprachlich nicht verwundert, ist sachlich allerdings schon ein wenig seltsam. Es geht um die „Materialsammlung“ zum NPD-Verbot. Oder genauer gesagt um einen Auszug daraus, ein wenig über 100 Seiten von den insgesamt tausend. Einigen Medien liegt das gesamte Material schon lange vor. Sie haben daraus zitiert, unter Seiten- und Quellenangaben, um damit zu dokumentieren, daß sie den „echten Stoff“ haben. Niemanden hat das gekümmert. Obwohl darauf steht „VS – Verschlußsache, nur für den Dienstgebrauch“.

Etwas ganz anderes ist es aber, wenn die NPD selbst als das Subjekt dieses Verbotsverfahrens auch nur einen Teil des fraglichen Materials hat. Dann wird Zeter und Mordio geschrien und es ist von „Torpedierung“ die Rede, also von einem besonders heimtückischen U-Boot-Angriff.

Um so erstaunlicher, als die NPD spätestens bei Einreichung des Verbotsantrages mindestens eines Verfassungsorgans ein Recht auf Akteneinsicht hat und weil das Verfassungsgericht sich wohl nicht mit ein paar Auszügen aus der Sammlung begnügen wird, sondern das gesamte tausendseitige Material wird sichten wollen. Es geht also nicht um die Frage, ob die NPD diese Unterlagen überhaupt bekommt, sondern nur darum, wann sie sie bekommt, in diesem Fall also ein wenig frühzeitiger als von den Verfassern vorgesehen.

Wobei sich ohnehin die Frage stellt: Wie kann es in einem Rechtsstaat angehen, daß Medienvertreter die komplette Sammlung haben, sie aber der NPD als der Betroffenen dieses Verfahrens vorenthalten wird? Ist das nicht – analog zum Strafverfahren – unzulässige Behinderung der Verteidigung? Wird hier nicht gegen den prinzipiellen Rechtsgrundsatz der Waffengleichheit vor Gericht verstoßen?!

Die NPD hat das ihr von unbekannte Seite zugespielte Material ins Internet gestellt. Oder zu stellen versucht. Oder zeitweilig gestellt und dann eher unkenntlich gemacht; das ist nicht so ganz klar. Denn die drei PDFs, für die auf der NPD-Seite Verlinkung geboten wird, sind nicht zu öffnen. Unklar ist, ob die Computertechniker der NPD einen Fehler bei der Generierung der PDF gemach haben. Oder ob der NPD bzw. ihren Rechtsberatern irgendwann mal bewußt ist, daß die Veröffentlichung von mit „VS – nur für den Dienstgebrauch“ gekennzeichneten Dokumenten juristische Konsequenzen haben könnte. Vielleicht hat man da seitens der Nationaldemokraten einfach ein bißchen schnell geschossen. Eine bessere Idee hätte sein können, das Material unter der Hand zu verbreiten und darauf zu warten, daß es dann auf anonymen, nicht verifizierbaren Portalen zu finden ist.

Diese Details sind allerdings eher unmaßgeblich angesichts der jetzt ausbrechenden Panik etablierter politischer Kreise. CDU-Innenexperte Bosbach fordert jetzt strafrechtliche Ermittlungen. Als bekannt wurde, daß TAGESSPIEGEL (Berlin), Der SPIEGEL und andere Medien nicht nur die 136 Seiten Kurzfassung haben, die die NPD offenbar hat und vergeblich (oder nicht mehr) zu veröffentlichen versucht, war von Bosbach nichts zu hören. Möglicherweise gilt auch in seinem Fall „nomen est omen“. Böser, böser Bach!

Insgesamt mal wieder ein ungeheuer entlarvender Vorgang. Wenn hier jemand etwas torpediert, dann wohl nicht der unbekannte Mitarbeiter eines Ministeriums (oder vielleicht auch ein Journalist), der da was an die NPD durchgereicht hat. Sondern Herrschaften wie Stahlknecht und Bosbach torpedieren mit ihrer Enthüllung das NPD-Verbotsverfahren selbst. Indem sie mehr und mehr Zweifel an seiner Rechtsstaatlichkeit wecken. Dem breiten Publikum und den mainstream-Medien wird das wahrscheinlich nicht besonders auffallen. Aber man darf davon ausgehen, daß auch solche Kleinigkeiten in Karlsruhe registriert werden und daß die NPD, wenn sie leidlich taugliche Anwälte hat, darüber auch prozessual vortragen wird.

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