Nach monatelangem Stillstand an den Fronten befindet sich Syriens Machthaber Assad auf der Siegesstraße. Möglicherweise nicht aufgrund eigenen Verdiensts oder das seiner Truppen. Denn für den außenstehenden Beobachter schien das Blatt sich zu wenden, als die Hizbollah (Hiz’b’Allah) auf Assads Seite eingriff. Kämpfer der Partei Allahs, wie sich Hizbollah übersetzt, waren es wohl, die das strategisch wichtige Kusair eroberten. Wobei außer dem Umstand, daß diese Männer wohl fanatischer und todesmutiger sind als die Soldaten von Assads regulärer Armee, auch eine Rolle gespielt haben könnte, daß den Rebellen die Munition ausging.

Nunmehr rücken Assads Armee und ihre irregulären Verbündeten auf Aleppo zu.

Die Stadt mit etwas über anderthalb Millionen Einwohnern ist die zweitgrößte Syriens. Eine Vertreibung der Rebellen von dort wäre mindestens von psychologischer Bedeutung; wahrscheinlich auch ein weiterer strategischer Rückschlag.

Nachdem westliche Medien über lange Zeit hinweg den bald bevorstehenden Sturz Assads im Sinne des vermeintlichen „arabischen Frühlings“ herbeizuschwafeln versucht haben, macht sich jetzt Ernüchterung bereit. Eine Studie der UN geht davon aus, daß ungeachtert der blutigen Kämpfe mit inzwischen mehreren zehntausend meist zivilen Todesopfern Assad ins einem Volk noch immer eine beachtliche Mehrheit hätte, wenn es zu freien Wahlen käme. Wobei unter Bürgerkriegsbedingungen an wirklich freie Wahlen nun mal schwer zu denken ist.

Zeit also für die USA, ihre Politik zumindest verbal aggressiver zu gestalten. Schon vor vielen Monaten sagte US-Präsident Barak Obama, es sei eine „rote Linie“ überschritten, wenn Assad sein Arsenal an Giftgas gegen die eigene Bevölkerung – hier also: bewaffnete Aufständische – einsetzen würde. Und jetzt sind die USA davon „überzeugt“, daß das der Fall ist.

Immerhin, 2003 waren sie nicht „überzeugt“, sondern hatten angeblich „Beweise“, daß der Machthaber des Irak, Saddam Hussein, sich im Besitz von Massenvernichtungsmitteln befände. Gefunden wurden diese allerdings nie, obwohl man nach seiner Eroberung den Irak recht gründlich umgekrempelt hat.

Da kann man schon verstehen, daß die neue Sprachregelung „Überzeugung“ lautet und nicht eben mehr „Beweise“.

Aber auch diese Überzeugung wird nicht von allen geteilt.

Es gibt Berichte französischer Journalisten, daß sie irgendwelchen bisher unbekannten Stoffen ausgesetzt waren, die zu Atembeschwerden und anderen Unannehmlichkeiten geführt haben. Gestorben ist daran offenbar niemand. Wenn das nun Giftgas war – was zweifelhaft ist – , dann war die Dosierung offenbar äußerst schwach. Die letale Potenz des im Gespräch befindlichen Stoffs Sarin – ein Nervengift – ist beachtlich. Als Saddam Hussein die kurdische Stadt Halabdscha mit einem „Cocktail“ verschiedener Kampfstoffe – darunter auch bzw. hauptsächlich Sarin – bombardieren ließ, gab es etwa 5.000 Tote und nur wenige Überlebende. In Syrien ist bisher nicht nachgewiesen, daß auch nur ein einziger Mensch an der Wirkung von Sarin oder einem anderen Giftgas gestorben ist.

In türkischen Krankenhäusern wird eine Handvoll Bürgerkriegsflüchtlinge behandelt, die Symptome aufweisen, die auf einen Kontakt mit geringen Mengen an Nervenkampfstoff hindeuten könnten. Auch hier aber gibt es keine Toten. Und im Syrien-Konflikt müssen türkische Quellen als ausgesprochen fragwürdig betrachtet werden.

UN-Kommissarin Carla Del Ponte geht sogar davon aus, daß Aufständische Kampfstoffe wie Sarin eingesetzt haben könnten. Sie haben davon offenbar ein bißchen etwas erobert, wenngleich die Menge auch für einen konzentrierten Einsatz zu gering sein dürfte. Denn bisher hat Assads Armee die Depots mit diesen höchst kritischen Stoffen noch überwiegend erfolgreich verteidigen können.

Da Rußland erkennbar nicht gewillt ist, eine „internationale Polizeioperation“ gegen Assad, wie die Amerikaner, Briten und Franzosen sie am liebsten sehen würden, zu tolerieren, muß Präsident Obama auf andere Mittel sinnen, auf das vermeintliche Überschreiten der „Roten Linie“ zu reagieren. Er will jetzt die Aufständischen mit Waffen beliefern.

Ein Friedensnobelpreisträger als Kriegsherr macht sich nicht wirklich gut. Ob er sich als Waffenlieferant besser macht? Und ob irgendwann einmal jemand zählen oder verläßlich schätzen wird, wie viele Zivilisten denn mit den Waffen dieser oder jener Kriegspartei getötet worden sind?

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