Rostock-Lichtenhagen (von Christian Worch)

Die Macht der Bilder: Vor dem weltberühmten und berüchtigten „Sonnenblumenhaus“ in Rostock-Lichtenhagen steht eine hohe weiße Vase. Sie steht da ersichtlich noch nicht lange. Ihr quadratischer grüner Fuß ist nicht im Boden verankert; eine mobile Gedenkstätte, morgen vielleicht schon wieder abgebaut, damit nicht böse Rechtsextremisten sie über nacht klauen und in ihrem eigenen Kleingarten aufstellen. – Vor dieser Vase der derzeitige Bundespräsident Steinmeier. Der (ehemalige???) Maoist zeigt eine Betroffenheitsmine, die eines Hollywood-Schauspielers würdig wäre; oskar-reif. Nur, daß man für den Film an der Kinokasse keinen Eintritt bezahlen muß: den gibt es kostenlos zur besten Sendezeit in der Tagesschau. Herr Steinmeier stellt eine langstielige, voll erblühte Sonnenblume in diese Vase. Hübsches Bild!

Leider hat es einen kleinen Fehler. Die Sonnenblume hat einen hübschen Kranz sonnengelber Blütenblätter, aber in der Mitte einen tiefbraunen Kern; nämlich ihre Kerne. Die nahrhaft sind und ein gutes Öl ergeben, auch wenn dieses Öl aufgrund irgendwelcher blödsinnigen Sanktionen in den Supermärkten derzeit knapp oder gar nicht mehr vorhanden ist. Aber sie sind eben braun! Dran hätte der Zeremonienmeister des Herrn Präsidenten denken sollen. Stattdessen vielleicht lieber eine weiße Rose oder eine rote Nelke? – Pech, zu spät, die Bilder mit dem braunen Kern sind schon bundesweit oder gar weltweit herumgegangen.

Aber da der dreißigste Jahrestag der Krawalle gerade wieder einmal massiv instrumentalisiert wird, ist es auch für uns Zeit für eine Rückschau.

1992, knapp drei Jahre nach dem Mauerfall, knapp zwei Jahre nach der staatlichen Vereinigung von BRD und DDR, von vielen ehemaligen DDR-Bürgern als „Übernahme“ verstanden, waren die Verhältnisse in den „fünf neuen Bundesländern“ noch lange nicht im Sinne des alten BRD-Regimes gefestigt. Immer mehr Menschen begannen zu begreifen, daß sie zwar Reisefreiheit und die begehrte D-Mark gewonnen hatten, aber dafür in zunehmendem Maße mit bei vielen nicht erwünschten ausländischen „Gästen“ beglückt wurden.

Da diese unter dem Deckmantel des Asyls einreisten und vornehmlich lebenslange Sozialleistungen erstrebten, gab es die ZASTs; „Zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber“.

Eine solche befand sich am Rand der Plattenbausiedlung Rostock-Lichtenhagen, in dem erwähnten „Sonnenblumenhaus“, einem riesigen Hochhaus, das seinen Namen dem farbenfrohen Mosaik an der Stirnseite verdankt.

Es waren vornehmlich Zigeuner aus Osteuropa, und weil die Kapazitäten der ZAST beschränkt waren, kampierten sie bei warmem Sommerwetter unter Balkonen, in Grünanlagen oder wo immer sie ihr müdes Haupt betten konnten. Sanitäre Anlagen waren nicht verfügbar; also mußten Büsche herhalten, was alsbald im wörtlichen Sinne zum Himmel stank. Ortsansässige Geschäfte verzeichneten gewaltige Umsätze durch Ladendiebstahl. Alsbald hatte die ortsansässige Bevölkerung von diesen Verhältnissen die Schnauze voll, und zwar nahezu durchgängig, vom noch nicht einmal erwachsenen Jung-Skinhead bis hin zum bereits pensionierten Schiffsbauer, der mitsamt seiner Frau und seinen erwachsenen Kindern bald begann, sich die SED-Herrschaft zurückzuwünschen. Zumindest soweit, als damals ordentliche Verhältnisse geherrscht hatten und das Schlafen unter Balkonen oder gar das defäkieren in Büsche von der VOPO strikt unterbunden worden war….

Es gab Proteste, zunächst völlig friedlicher Art. Beschwerden waschkörbeweise. Petitionen. Friedliche Demonstrationen, ordnungsgemäß bei der Behörde angemeldet. Alles fruchtete nichts. Die Politik, schon damals in ihrer eigenen Blase gefangen und ohne Volksnähe, ohne Kontakt zu einfachen Leuten, blieb untätig.

Und dann kam es wie in Schillers Lied von der Glocke: „Weh, wenn sich im Schoß der Städte – der Feuerzunder still gehäuft – das Volk, zerreißend seine Kette – zur Eigenhilfe schrecklich greift.“

In dem Fall war es zwar nicht das ganze Volk; es waren einige hundert radikale Jugendliche und Jungmänner, ganz vereinzelt auch Mädchen oder jungen Frauen darunter. Und es war nicht, wie heute gern suggeriert wird, bundesweit die rechtsextremistisch-neonazistische Szene angereist. Ich weiß von vier oder fünf damaligen Aktivisten aus Westdeutschland, die sich nach Rostock auf den Weg gemacht haben. Und die Behauptung des sattsam bekannten Frank Jansen im Berliner TAGESSPIEGEL, ich selbst hätte, in einer Nebenstraße in meinem Auto sitzend, per CB-Funk die Krawalle koordiniert, ist völliger Blödsinn. Ähnlich blödsinnig wie damals die Behauptung des ehemaligen „Leiters des Gemeinsamen Landeskriminalamtes der fünf neuen Bundesländer“, des inzwischen ziemlich heruntergekommenen Bernd Wagner, ich hätte in einer mitteldeutschen Datsche AK-47 „Kalashnikovs“ zum Libanon-Preis von damals dreihundert US-Dollar gehortet….Manche Medien können (oder wollen!) nicht zwischen ihrer Fiktion und der Realität unterscheiden.

Immerhin aber war es für die Herrschenden ein Alarmsignal, daß die ganz durchschnittliche Wohnbevölkerung mehrheitlich den Aktivisten zugejubelt hat und ihnen vielfach auch ermöglicht hat, in ihrer Mitte vor Zugriffsversuchen der Polizei unterzutauchen.

Und das selbst noch, als die Krawalle eine neue und potentiell mörderische Qualität erreichten, als Molotow-Cocktails flogen und in mindestens zwei Wohnungen ein Vollbrand entstand und etwa hundert frühere vietnamesische Vertragsarbeiter in Lebensgefahr gerieten.

Unmittelbar nach diesen dramatisch eskalierten Ereignissen berichteten Leitmedien durchaus noch ausgewogen: Zwar wurden Steinwürfe und vor allem menschengefährdende Brandlegung scharf verurteilt, aber es wurde auch darauf hingewiesen, daß die herrschende Politik die Dinge sich überhaupt erst so weit hatten entwickeln lassen. Herbe Kritik erfuhr auch der damalige Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern, Lothar Kupfer, als CDU-Mitglied seid 1971 eine der berühmten „Blockflöten“ der ehemaligen DDR-Regierung, aber trotzdem im damaligen „Neufünfland“ offenbar noch ministeriabel. Noch während der bürgerkriegsähnlichen Zustände ging er nach Hause um „mal die Wäsche zu wechseln und unter die Dusche zu gehen“. Dies, rechtfertigte er später gegenüber der Presse, habe dazu gedient, „seine Einsatzfähigkeit zu erhalten (oder wiederherzustellen). Was mögen damals Polizisten davon gehalten haben, die teilweise sechzehn Stunden nicht aus ihren verschwitzten Kampfmonturen herausgekommen waren?!

Als gewissermaßen apologetisch mag auch ein Satz von Kupfer verstanden worden sein: „Die Rechten haben bewirkt, die Politiker dafür zu sensibilisieren, dass das Asylrecht eingeschränkt wird und dass das Sicherheitsgefühl an erster Stelle steht – nicht nur in Ostdeutschland.“

Tatsächlich war eine politische Folge dieses Krawalls, daß das Asylrecht eingeschränkt wurde. Natürlich nur vorübergehend – ein paar Jahre später war es dann liberaler als jemals zuvor…. Trotzdem, sowohl Politik als auch Medien hatten erkannt, daß der Bogen überspannt war; daß es Rostock-Lichtenhagen ohne diese Überspannung nicht gegeben hätte, oder nicht in Form von vier Krawallnächten hintereinander.

In der typisch unehrlichen, geschichtsklitterischen Art unserer Zeit wird das jetzt ausgeblendet. Da ist nur die Rede von böser, böser, böser rechter Gewalt. Aber wenn man es so einseitig sieht, dann wird man vielleicht eines Tages wieder erleben, daß vor Ort hunderte, tausende die Verhältnisse unerträglich finden; und im ganzen Land hunderttausende, Millionen gar. Das muß nicht das sich immer weiter verschärfende Ausländerproblem sein; das können auch Hunger und Kälte und Blackout obendrein sein. Das wäre die eigentliche Lehre, die die Verantwortlichen aus Rostock-Lichtenhagen im Jahre 1992 ziehen müßten. Wenn sie denn Augen hätten, zu sehen….

von Christian Worch

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