Schon im Vorfeld droht der in München vor dem Oberlandesgericht anstehende Prozeß gegen Beamte Zschäpe und andere tatsächliche oder vermeintliche Unterstützer des sogenannten NSU zur Posse zu werden.

Strafprozesse in der BRD unterliegen dem Grundsatz der Öffentlichkeit, solange es nicht ein Jugendgericht ist, das tagt; dann kann mit Blick auf schutzwürdige Interesse von Angeklagten, die unter 21 Jahren sind, die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden.

Aber auch bei gewöhnlichen Prozessen ist die Öffentlichkeit eine Frage der Machbarkeit. Das Gericht kann seine Verhandlungen ja nicht in einem Sportstadion oder der Hanns-Martin-Schleyer-Halle oder der Lobby des Franz-Josef-Strauß-Flughafens durchführen, nur weil möglicherweise hunderte oder tausende von Menschen sich das gern persönlich anhören möchten. Wenn also der Zuschauerraum des Saales voll ist, ist er voll, dann kommt keiner mehr herein; außer, wenn einer rausgeht, dann wird für jeden, der rausgeht, ein neuer reingelassen.

Eine besondere Stellung haben natürlich die Medien; sie sind schließlich transportierte Öffentlichkeit. Daher wird eine gewisse Anzahl der Plätze von vornherein für die Presse reserviert. In München sind es 50. Aber das reicht natürlich nicht aus.

Weil anders als der gewöhnliche Zuschauer – bei manchen Verhandlungen sogar Obdachlose, die den Zuschauerraum des Gerichts im Winter als Wärmehalle nutzen und damit gleichzeitig etwas für ihre juristische Bildung tun – diese Medienvertreter verläßlich kalkulieren müssen, gibt es ein Akkreditionsverfahren. Sozusagen Platzreservierung wie im Schlafwagen der Bahn. Und da gilt der Grundsatz, wer zuerst kommt, der mahlt zuerst.

Formal völlig korrekt ist das Münchner Oberlandesgericht also so verfahren: Die ersten fünfzig Medienvertreter, die sich angemeldet haben, haben einen Platz reserviert bekommen; alles aber der Nummer 51 landete auf einer Warteliste, geordnet nach chronologischem Eingang des Antrages.

Unter den ersten 50 ist kein einziges Türkisches Medium. Diese Journalisten waren vielleicht mit dem deutschen Zulassungsverfahren nicht vertraut. (Ihr Problem, sie hätten sich frühzeitig sachkundig machen können.) Oder haben darauf vertraut, daß einem deutschen Gericht vielleicht „Hürriyet“ wichtiger ist als die „BILD-Zeitung“. (Gleichfalls ihr Problem, wenn das nicht so ist….)

Als bekannt wurde, daß kein einziger türkischer Journalist einen sicheren Platz unter den ersten 50 hatte (der nächstgelegene war irgendwo hoch in den 70-ern oder 80-ern auf der Liste), waren die Türken empört.

Findige deutsche Journalisten wollten der Empörung abhelfen und boten türkischen Medienvertretern ihren sicheren Platz an.

Das aber wollte das Gericht nicht zulassen.

Eine sachlich völlig korrekte Entscheidung. Denn anderenfalls droht bei spektakulären Prozessen die Gefahr, daß Platzhandel stattfindet, daß Journalisten sich vorsorglich frühzeitig Plätze reservieren, ohne sie nutzen zu wollen, und sie dann meistbietend oder gegen irgendeine Gefälligkeit wie auf dem Basar versteigern.

Dieser Art der Korrektheit war wohl nichts für die türkische Seele; sie kochte. Mit einem sicheren Gespür für das Empfinden ihrer Landsleute schalteten sich daraufhin zusätzlich noch Diplomaten ein; sie verlangten, daß auch für sie Plätze reserviert würden. Unverständlich erschien ihnen, daß ein Diplomat „Öffentlichkeit unterhalb der Schwelle der Medien“ darstellen soll und sich im Zweifelsfall genauso wie jeder andere in die Schlange einzureihen hat, auf die Gefahr hin, stundenlang zu stehen, ohne das begehrte Ziel zu erreichen.

Die Kritik in der Türkei ist, wie der SPIEGEL es eher beschönigend formuliert, „harsch und anhaltend“. So sehr, daß sich auch der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Ruprecht Polenz, jetzt zu einer Äußerung veranlaßt gesehen hat. In tatsächlich schon fast übertrieben maßvoller Art hat er die türkische Seite zur Mäßigung im Streit um die Platzvergabe aufgefordert.

Und weil seit Ende des letzten Weltkrieges (wenn nicht schon davor…) Deutsche grundsätzlich wenn nicht schuldig, dann mindestens mitschuldig sind, gab es noch einen kleinen Seitenhieb gegen das Gericht. Dieses habe es, so Polenz, „sicher am nötigen Fingerspitzengefühl fehlen lassen“.

Nein. Das Gericht ist einfach unabhängig, von Gesetzes wegen. Es folgt seinem üblichen Procedere und sieht keinen Grund, wegen türkischer Begehrlichkeiten davon abzuweichen. Jeder hat die gleichen Chancen; jeder hätte sich frühzeitig melden können, und wer zu spät kommt, den bestraft das Leben, wie schon Mikhail Gorbatschow seinem damaligen Amtskollegen Erich Honecker sagte.

Sicherlich wird sich mit genügend Druck deutscher Medien und etablierter Politik noch ein Ausweg finden, türkische Medienvertreter und vielleicht auch Diplomaten durch die Hintertür in den Gerichtssaal hineinzulassen. Logenplatz wie bei der Oper oder im Theater wird es wahrscheinlich nicht geben, aber das wohl nur aus baulichen Gründen. (Obwohl, anders gesehen, es hätte zweifellos Stil, eine Gerichtsverhandlung mal in einem Theatersaal durchzuführen… Der Unterhaltungswert könnte fürs Publikum ein ähnlicher sein.)

Bevor auch nur das erste Wort der Anklageschrift verlesen ist, wird aus der Sache also eine Posse.

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