Vor dreiundzwanzig Jahren trugen Botschaftsflüchtlinge indirekt zum Untergang des SED-Regimes mit bei, die sich vor allem in die Prager, aber auch die Warschauer Botschaft der BRD flüchteten. Obwohl „sozialistisch Bruderstaaten“ der ehemaligen DDR, achteten sowohl die Tschechen als auch die Polen die internationalen Vereinbarungen, nachdem diplomatische Vertretungen strikte Immunität genießen.

Jetzt macht ein einzelner, aber erheblich prominenterer Botschaftsflüchtling von sich reden: Julian Assange, Begründer des Enthüllungs-Portals Wiki-Leaks, zur Zeit in der ecuadorianischen Botschaft in London.

Assange wird in Schweden verdächtigt, sexuelle Nötigung und in einem Fall Vergwaltigung begangen zu haben. Die schwedische Justiz will ihn verhören; aber ausdrücklich nur in Schweden. Einem Verhör in England oder auf dem exterritorialen Gelände einer Botschaft stimmt sie aus wenig erfindlichen Gründen nicht zu. Zwecks der Auslieferung des australischen Staatsbürgers aus England hat die schwedische Justiz auch einen EU-Haftbefehl gegen ihn erlassen. Etwas fragwürdig, wenn es nicht einmal eine Anklage gibt… Aber als Rechtsgrundlage reicht dies der englischen Justiz aus, Assange ausliefern zu wollen, und seine gerichtlichen Schritte hiergegen waren erfolglos. So flüchtete er sich schon im Juni in die Botschaft Ecuadors und beantragte dort politisches Asyl.

Die Engländer reagierten mit der Andeutung, daß sie nach britischem – allerdings nicht nach internationalem! – Recht im Falle einer besonderen Gefährung auch berechtigt seien, die Botschaft eines anderen Landes zu stürmen, was in Ecuador verständlicherweise Empörung auslöste.

Warum Assanges Angst vor eine Auslieferung nach Schweden?

Asssange, der jede Nötigung oder gar Vergewaltung strikt bestreitet, sieht in dem Vorgang ein us-amerikanisches Komplott. Er befürchtet, von den Schweden an die USA ausgeliefert zu werden, wo man ihm wegen der Wikileaks-Veröffentlichung von geheimen Regierungsdokumenten den Prozeß wegen Spionage machen könnte, was im Extremfalls mit der Todesstrafe verbunden wäre.

Ganz abwegig ist diese Befürchtung nicht, denn interessanterweise hat das Königreich Schweden bisher keine rechtsverbindliche Erklärung abgegeben, daß Assange – gegebenenfalls nach Erledigung einer Haftstrafe, wenn er dort verurteilt werden sollte – anschließend in ein Land seiner Wahl ausreisen darf.

Inzwischen hat Ecuador dem Wikileaks-Gründer politisches Asyl gewährt. Das nutzt im zur Zeit aber wenig. Denn wenn er die Botschaft verläßt, kann sich die britische Polizei seiner bemächtigen. Da die Botschaft des relativ kleinen und nicht gerade reichen südamerikanischen Landes nur aus einer Erdgeschoßwohnung in einem Mehrfamilienhaus besteht und da sie über ein eigenes Gelände verfügt, wird Assange dort wohl oder übel erst einmal gewissermaßen festgenagelt bleiben. Wenn es angesichts der Bereitschaft der US-Justiz, die Todesstrafe zu verhängen und zu vollstrecken, nicht zynisch klingen würde, könnte man sagen, das ist das, was Schachspieler als „Hängepartie“ bezeichnen.

Das Politikum wird also wohl noch eine Weile andauern. Assanges Anwälte haben erst einmal angekündigt, den internationalen Gerichtshof anzurufen. Ob sie dort erfolgreicher sind als vor britischen Gerichten, bleibt abzuwarten.

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