Nazi-Prozeß gegen Björn Höcke

Die parlamentarische Immunität des Thüringer MdL Björn Höcke (AfD) ist aufgehoben worden. Damit ist der Weg frei für eine Anklage gegen den früheren Sport- und Geschichtslehrer. Er soll gegen § 86 a Strafgesetzbuch, Verbreitung von Kennzeichen einer frühere NS-Organisation, verstoßen haben.

Wie sah dieser Verstoß praktisch aus?

Höcke soll – und das ist wohl auch bild- und tontechnisch dokumentiert – eine öffentliche Rede mit den Worten „Alles für Deutschland“ abgeschlossen haben.

Was der vormalige Geschichtslehrer, der in seinen jungen Jahren auch mal zwei Semester Rechtskunde studiert hat, offenbar nicht wußte: Diese Worten waren auf dem Dolch der Sturmabteilungen (SA) eingraviert. Sie sind damit – möglicherweise – ein Kennzeichen im Sinne des § 86 a StGB.

Ohne eine gewisse Abgrenzungsangst gegen „ganz rechts“ hätte AfD-Funktionär Höcke das wissen können. Denn wegen genau der gleichen Worte ist vor etwas über zehn Jahren das Bundesvorstandsmitglied von DIE RECHTE, Sascha Krolzig, zu sechs Monaten Haft verurteilt worden. Nicht nur, daß auch die oberen Strafgerichte das Urteil bestätigt haben: Auch Krolzigs Verfassungsbeschwerde wurde vom Bundesverfassungsgericht „nicht zur Entscheidung angenommen“, also zurückgewiesen.

Dieses Urteil kann natürlich als etwas fragwürdig gelten.

Merkmal eines „Kennzeichens“ ist, daß es bekannt ist. Bekannt in diesem Sinne heißt, daß es ziemlich allgemein bekannt sein muß und nicht nur einer winzigen Handvoll Spezialisten. Die Juristerei konstruiert dafür gern den „verständigen Durchschnittsbürger“. Der verständige Durchschnittsbürger weiß zweifellos, daß das Hakenkreuz ein Kennzeichen der NSDAP war, oder daß der ausgestreckte rechte Arm als „Deutscher Gruß“ ein solches war. Ob der „verständige Durchschnittsbürger“ weiß – oder bisher wußte! – , daß auf dem SA-Dolch die Worte „alles für Deutschland“ eingraviert waren, muß als zweifelhaft gelten.

Zwar hatte die SA zum Zeitpunkt der hitlerschen Machtübernahme ungefähr 400.000 Mitglieder und war damit offiziell viermal so stark wie die damalige Reichswehr, die durch das Diktat von Versailles zu einem 100.000-Mann-Heer vermindert worden war. Auch nach der Machtübernahme wird noch der eine oder andere das braune Hemd angezogen haben, sprich Mitglied der SA geworden sein. Allerdings schwand die Bedeutung der paramilitärischen Straßenkampftruppe nach dem 30. Januar 1933, und beinahe völlig in der politischen Versenkung verschwand sie nach der Liquidierung ihres Anführers Ernst Röhm am 30. Juni 1934. Es ist also fraglich, ob jemals mehr als vielleicht eine halbe Million Männer in der SA waren und den besagten Dolch getragen haben.

Von diesen Männern wird nahezu keiner mehr leben; er müßte denn heutzutage günstigstenfalls um die hundert Jahre zählen!

Auch von der halben Million Dolche, die es irgendwann mal gegeben haben muß, sind nur noch sehr wenige übrig. Viele wollten nach Kriegsende „niemals dabei gewesen sein“ und haben über Hitler-Bilder, Hakenkreuzfahnen, Uniformen und andere Dinge eben auch diese Dolche entsorgt. Zudem konnte der Besitz eines Messers oder Dolches mit mehr als zehn Zentimeter Klingenlänge unter dem Besatzerregime lebensgefährlich sein: Mindestens hypothetisch stand darauf die Todesstrafe. Unter Fans von Militaria werden daher originale SA-Dolche mit Preisen von mehreren hundert Euro gehandelt. Was dafür spricht, daß von der vormals vielleicht halben Million Exemplaren allenfalls noch ein paar tausend übrig sind; schwerlich eine fünfstellige Zahl.

Aber auch der mutmaßlich sehr geringe Bekanntheitsgrad dieses „Kennzeichens“ hat vor rund zehn Jahren das Höchstgericht in seiner damaligen Besetzung nicht gehindert, das Urteil gegen Sascha Krolzig zu bestätigen.

Die Sache ist damit, wie der Jurist sagt, „ausgeklagt“. Anders als Höcke, der sein Jura-Studium nach zwei Semestern beendet hat und sich dem Studium aufs Lehramt zugewandt hat, dürften Strafgerichte und auch die inzwischen neuen Richter des Bundesverfassungsgerichts diesen damaligen Beschluß durchaus kennen. Das macht eine Verurteilung von Björn Höcke recht wahrscheinlich, selbst ohne die weit verbreitete politische Unbeliebtheit der AfD.

Trotzdem ist der Fall interessant.

Denn wir waren damals nicht imstande, die Fragwürdigkeiten in dem Krolzig-Urteil zu thematisieren. Dazu war unsere Reichweite einfach zu gering. Die Sache ging also durch, ohne daß sie zu einer breiten öffentlichen Diskussion geführt hat. Bei Björn Höcke wird das anders sein. Von dem Verfahren und seinem mutmaßlichen Ausgang werden Millionen von Menschen Kenntnis nehmen.

Unter Juristen ist sowieso ein klein wenig umstritten, wie sinnvoll die Aufrechterhaltung solcher NS-bezogenen Verbote von Meinungsäußerungen 76 Jahre nach Kriegsende denn noch sind. Es ist möglich – und wäre wünschenswert! – , daß der Fall Höcke solche Diskussionen in Fachkreisen ebenso wie in der breiten Öffentlichkeit befeuert.

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