Als der sogenannte „Arabische Frühling“ auf Libyen übergriff, frohlockten westliche Mächte. Endlich eine Gelegenheit, den unbequemen und schillernden Machthaber Muammar al Ghadaffi loszuwerden. Rasch war man sich einig, eine „Flugverbotszone“ einzurichten, um zu verhindern, daß Ghaddafi seine Luftwaffe gegen Aufständische einsetzte. Dieses Mandat des Sicherheitsrates wurde gnadenlos überzogen. Letztlich wurden nicht nur einzelne Panzer des vorherigen Regimes zu „legitimen“ Zielen der NATO, sondern auch der Konvoi ziviler Fahrzeuge, der den vormaligen und zu dem Zeitpunkt eher bedeutungslosen Machthaber aus einer umkämpften Stadt herausbringen sollte. Wie es endete, ist bekannt.

In Syrien hat sich die NATO oder überhaupt die westlichen Mächte wegen des Vetos von Rußland und China nicht zur Luftwaffe der Aufständischen machen können.

Die Folge davon ist, daß es anhaltende Kämpfe gibt, unter anderem in Millionenstädten, wo die Verlierer nicht aufständische Milizen oder der Rest der Regierungstruppen sind, sondern einfache Menschen, normale Bürger.

Einen wirklich großen Vorteil für die Regierungstruppen hat das nicht erbracht. Zwar mußten die Rebellen sich aus der Hauptstadt Damaskus weitgehendst zurückziehen, aber dafür setzten sie sich in Aleppo fest, einer kaum weniger großen Stadt. Und auch eine breit angelegte Offensive mit Einsatz schwerer Waffen scheint nicht geeignet zu sein, sie von dort zu vertreiben oder aufzureifen.

Es sieht nach einem Patt aus, wie es in Bürgerkriegen oftmals entsteht.

Die Vollversammlung der UNO hat jetzt den Sicherheitsrat in einer Resolution gewissermaßen dafür gerügt, daß er kein „robustes Mandat“ erteilt hat, daß er keine „Flugverbotszone“ eingerichtet hat, sondern den Dingen mehr oder minder ihren Lauf gelassen hat.

Sicherlich hat das zu zusätzlichen Verlusten geführt, zu Leiden bei der nicht betroffenen Zivilbevölkerung. Seit Ghadaffi aus einem Abflußrohr herausgezogen und unter unmenschlichen Umständen ermordet wurde, liegt nahe, daß die Rebellen auch nicht so viel besser sind als die vormaligen Machthaber und ihr Sicherheitsapparat. Es mag so manche westliche Politiker geben, die hämisch schadenfroh wären, wenn dergleichen Assad passieren würde. Die Frage ist aber nicht die individueller Rache, sondern die Frage ist der Ausgleich zwischen dem, was gerecht wäre, und dem, was politisch nützlich wäre.

Im Falle von Syrien ist inzwischen klar, daß die Rebellen Unterstützung aus dem Ausland bekommen. Teilweise in Form von Waffenlieferungen, teilweise in Form von logistischer Hilfe, indem sie „Kommunikationseinrichtungen“ von der CIA geliefert bekommen oder Satellitenfotos oder dergleichen. Manches davon kann tödlicher sein als ein Maschinengewehr.

Westliche Medien halten inzwischen einen Zerfall Syriens für möglich. Die Aufsplitterung eines Staates, dessen Grenzziehung eine Folge früheren Kolonialismus ist. Ethnische und konfessionelle Konflikte. Ein Regime der „Warlords“ wie im China der 20-er Jahre des 20. Jahrhunderts, das auch Platz für einen Assad lassen würde, der dann möglicherweise der mächtigste der vielen „Warlords“ wäre.

Die Türkei beispielsweise befürchtet, daß im Norden Syriens kurdische Gebiete Autonomie erlangen könnten; in ähnlicher Form ist das bereits im Irak passiert. Und das kurdische Siedlungsgebiet umfaßt Regionen sowohl im Irak als auch in Syrien als auch in der Türkei. Eine Staatswerdund Kurdistans rückt damit in greifbare Nähe, und das ist den Türken sehr unangenehm.

Die Regionalmacht Saudi-Arabien ihrerseits fürchtet natürlich, daß der Einfluß des konkurrierenden Irans größer wird. Westler unterfallen oftmals dem Irrtum, daß es sich dabei doch allgemein um islamische Staaten handelt. Sie übersehen, daß es im Islam verschiedene Strömungen gibt, sunnitische, schiitische, wahabitische und welche auch immer. Und daß die Konflikte zwischen diesen quasi-Konfessionen von ähnlicher Sprengkraft sein könnten wie die zwischen katholischen und evangelischen Christen, die in Europa den dreißigjährigen Krieg ausgelöst haben, mit der weitgehendsten Vernichtung Deutschlands, aber auch gravierenden Problemen für die Nachbarländer.

Gerade wo eine Gemengelage droht, die für den Westler schwer veständlich ist, ist die bessere Politik die der Zurückhaltung. Egal, ob ein „humanitäres Desaster“ droht. Von den ca. 20 Millionen Syrern sind aus verständlichen Gründen vor  den Kampfhandlungen bisher rund 200.000 ins Ausland geflüchtet, und die Zahl der Flüchtlinge, die innerhalb ihres eigenen Landes Sicherheit suchen, könnte leicht ein Zehntel der Gesamtbevölkerung betragen, also bei zwei Millionen.

Wahrscheinlich wäre angesichts des derzeitigen militärischen Patts zwischen Rebellen und Regierungstruppen eine „robuste“ Resolution des UN-Sicherheitsrates entscheidend gewesen. Kampfhubschrauber des Regimes, die Rebellen in Wohngebieten beschießen, wären abgeschossen worden, und Assad wäre im Exil oder würde alsbald aus einem Abflußrohr herausgezogen und auf wenig menschenfreundliche Weise vom Leben zum Tod befördert. aer anders als in Libyen ist es dazu nicht gekommen.

Und unter dem Strich ist das wahrscheinlich auch besser so.

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