Ein Jubiläum ist – sprachlich gesehen – Anlaß zum Jubeln. In diesem Falle wäre es also wohl passender, von einem Jahrestag zu sprechen. Und den haben wir heute. Es ist genau ein Jahr her, daß das angeblich mörderische Duo Uwe und Uwe (Mundlos und Böhnhardt) vermulich von eigener Hand starb, wobei jetzt schon die erste Unklarheit besteht. Denn Es gibt verschiedene Meinungen darüber, ob jede Uwe sich selbst erschoß oder erst der eine Uwe den anderen und dann sich selbst. Fest steht offenbar, daß einer länger lebte als der andere, denn in der Lunge des anderen fanden sich keine Rauchpartikel.

Dieser Umstand ist allerdings wohl das unbedeutendste aller Rätsel dieses Falles.

Die Lohnschreiber etablierter Medien ziehen es vor, das totzuschweigen oder bestenfalls einmal sehr, sehr vorsichtig anklingen zu lassen.

Auch andere Kleinigkeiten will man lieber nicht zu deutlich thematisieren.

Da ist der Umstand, daß man schon etliche Zeit vor einer gerichtlichen Aufklärung des Falles knapp 900.000 an die Hinterbliebenen der Opfer beziehungsweise an die Geschädigten eines gleichfalls dem NSU zugeschriebenen Nagelbomben-Attentats in Köln ausgezahlt hat. Die Ungleichbehandlung mit den deutschen Opfern ausländischer Gewalt rechtfertigt man wohl damit, daß es in deren Falle keine Versäumnisse der Sicherheitsbehörden gab, bei ansonsten zusammenhangslosen Tötungen ausländischer Kleingewerbetreibender nicht gleich auf eine nazistisch-rasssistische Motivation gekommen zu sein, sondern die Opfer zunächst einmal verdächtigt zu haben, sie hätten mit dem Drogenmilieu, Schutzgelderpressung oder ähnlichen Formen organisierter Kriminalität zu tun. Nun, vielleicht war es ein wenig voreilig, erst einmal schwerpunktmäßig in diese Richtung zu ermitteln und andere Möglichkeiten für unwahrscheinlich zu halten. Aber eine Voreiligkeit mit einer anderen auszugleichen zu wollen, ist alles andere als souverän. Was denn, wenn sich herausstellen sollte, daß der NSU gar nicht so mörderisch war wie behauptet? Wird dann die Halit-Yozgat-Straße in Kassel neuerlich umbenannt? Und fordert man von den Begünstigten der Entschädigungen von knapp einer Million Euro dann zumindest einen Teil davon zurück? Oder bekommen dann die Angehörigen von rund 7.000 in den letzten 22 Jahren von Ausländern ermordeten Deutschen Blutgeld in angemessen gleicher Höhe, also fast 100.000 Euro pro Person?

So mancher Kommentator in politisch unkorrekten Blogs hat darauf verwiesen, daß angesichts einer so massiven Vor-Verurteilung des NSU und ihres letzten überlegenden angeblichen Mitglieds ein fairer Prozeß kaum noch zu erwarten sein kann. Ein anderes als das politisch erwünschte Ergebnis würde einen gewaltigen Skandal hervorrufen.

Bemerkenswerterweise war es die politisch weit links stehende „tageszeitung“ (TAZ), die die Frage nach juristischer Chancengleichheit aufgegriffen hat. Möglicherweise gerade deshalb, weil ein solches Medium der Sympathie mit rechtem Gedankengut völlig unverdächtig ist. Der Jurist Christian Rath weist darauf hin, daß mindestens sieben Staatsanwälte an der Anklage gegen Beate Zschäpe werkeln. Diese aber hat nur einen einzigen Pflichtverteidiger. Allein das spricht gegen Waffengleichheit zwischen Anklage und Verteidigung. Denn die Aktenbestände, die durchgearbeitet werden müssen, umfassen mehrere hundert Stehordner. Für nicht-Bürokraten: In so einen Stehordner passen bis zu 500 Blatt Papier hinein. Wenn wir „mehrere hundert“ im unteren Bereich ansiedeln, sagen wir einmal 300 Stück, und wenn wir von einem Füllbestand von sagen wir zwei Dritteln pro Aktenordner ausgehen (was eher niedrig angesetzt ist), dann würden wir über einen Papierberg von 100.000 Blatt sprechen. Das bloße einmalige Lesen – bei einer Lesegeschwindigkeit von einem Din-A-4-Blatt pro Minute – nimmt schon einmal 1.667 Stunden in Anspruch. Bei einem acht-Stunden-Tag sind das 208 Arbeitstage. Das Jahr hat aber nach Abzug von Wochenenden und Feiertagen gerade mal bei 220 Arbeitstage. Urlaubszeit und eventueller krankheitsbedingter Ausfall sind dabei noch nicht berücksichtigt.

Der klassische Fall eines „asymmetrischen Krieges“.

Aber die Bundesanwaltschaft hält einen einzelnen Pflichtverteidiger für ausreichend. Mehr schreibe das Gesetz nicht vor. (Was nicht heißt, daß das Gesetz nicht mehr erlaubt. Gerade in großen Prozesses ist es beinahe durchgängiger Standard, einem Angeklagten zwei Verteidiger beizuordnen.) Ist das einfach kaltschnäuziges Beamtentum, oder will man die Verteidigung Zschäpes auf diese Weise von vornherein behindern, um leichter zu dem gewünschten Ergebnis einer Verurteilung zu kommen?

Vielleicht ist die Bundesanwaltschaft unter Druck. Sie will noch im November die Anklage vorlegen, die vermutlich zum Oberlandesgericht München erhoben wird.

Schon da stellt sich die Frage, wieso eigentlich München? Der erste angebliche NSU-Mord fand in Nürnberg statt. Und in Nürnberg fanden mit dreien dieser Morde auch die meisten statt; München folgt erst an zweiter Stelle mit zwei Morden. Nürnberg hat ein eigenes Oberlandesgericht. Nach allen sachlichen Kriterien müßte also Nürnberg zuständig sein und nicht München. Hatte man etwa Angst vor Anklängen an den Nürnberger Prozeß von 1945/1946? Wollte man dem radikalsten Teil der Rechten die Möglichkeit nehmen, hier von „Besatzerjustiz“ zu sprechen? Solche Überlegungen psychologischer oder propagandistischer Natur dürfen in einem Rechtsstaat allerdings keine Kriterien für die Auswahl des Gerichtsortes sein! Schließlich schreibt das Grundgesetz vor, „niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden“ (Artikel 101 Abs. 1 Satz 2 GG).

Aber unabhängig von der Wahl des Gerichtsortes: Die Zeit läuft für die Bundesanwaltschaft immer rascher. Richtiger gesagt, sie läuft gegen die Bundesanwaltschaft… Noch im November die Anklage vorlegen zu wollen, ist nicht allein ein politisches Statement. Es kann auch eine juristische Notwendigkeit sein. Beate Zschäpe stellte sich am 8. November 2011. Der Haftbefehl wegen des Verdachts der Mittäterschaft beim mehrfachen Mord soll vom 13. November datieren. (Vorher gab es wohl einen Haftbefehl wegen schwerer Brandstiftung.) Sie ohne Anklage wegen des Vorwurfs der Mittäterschaft beim Mord länger als ein Jahr in Untersuchungshaft zu halten, ist höchst problematisch.

Da darf man also sehr gespannt sein, was die Bundesanwälte in Karlsruhe so ausbrüten. Wie beim Skatspiel heißt es dann irgendwann: Hosen runter! Ob sich dann außer der linken TAZ noch mehr Medien trauen, auf die Ungereimtheiten im Vorfeld des Prozesses oder während des dann laufenden Prozesses hinzuweisen?

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