Der Wirtschaftskrieg

Wladimir Wladimirowitsch Putin ist Inhaber eines „Schwarzen Gürtels“ in der Kampfsportart Judo. Judo definiert sich nach WIKIPEDIA als „Siegen durch Nachgeben“ oder auch als „maximale Wirkukng bei minimalem Aufwand (erzielen)“. Der Autor dieses Artikels lernte es vor gut fünfzig Jahren noch mit anderen Worten: „Judo ist, die Kraft eines Gegners gegen diesen selbst einzusetzen“. Ersatzweise auch: „Die Kraft eines Gegners gegen diesen selbst wirken zu lassen“. Im Grunde genommen sagen all diese Definitionen das gleiche. Stößt der Gegner, zieht man und bringt ihn so aus dem Gleichgewicht. Zieht der Gegner, stößt man und bringt ihn so aus dem Gleichgewicht.

Der Präsident der russischen Föderation als Inhaber eines Dan-Grades (Meistergrades) wird das nicht schlechter wissen als ein junger Kyu (Schüler).

Rußland ist eine Nation von Schachspielern; das königliche Spiel ist dort ein Breitensport. (Schach leitet sich vom persischen Wort „Shah“ = „König“ ab.) Zweifellos wird auch der Präsident der Föderation Schach spielen; und man darf davon ausgehen, daß er ein guter bis sehr guter Spieler ist.

Beim Schach ist es wichtig, alle möglichen gegnerischen Züge im Voraus zu erwägen und Gegenzüge bereit zu halten. Wer weiter denkt, gewinnt.

Westliche Medien halten die russische Strategie in der Ukraine für inkompetent, fehlerhaft. Man habe auf russischer Seite anfangs wohl geglaubt, die russischen Truppen würden in der Ukraine mit Brot und Salz begrüßt wie die deutschen Soldaten im Zweiten Weltkrieg; man habe den Widerstandswillen der ukrainischen Armee unterschätzt. Sich aus der Gegend um Kiew herum, aus dem Norden der Ukraine, zurückgezogen zu haben, sah man als Eingeständnis russischer Schwäche. Vernachlässigt wurde dabei, daß Rußland den Krieg in der Ukraine bisher nur „mit angezogener Handbremse“ führt, mit einem Bruchteil der verfügbaren Soldaten und des Kriegsmaterials. Tatsächlich steht ihnen mit der ukrainischen Armee und der auch recht zahlenstarken Nationalgarde einschließlich ausländischer Söldner sogar eine numerische Übermacht an Ukrainern gegenüber, was angesichts der Überlegenheit der Russen in der Luft und ihrer Überzahl an schweren Waffen jedoch bedeutungslos ist.

Der Vorstoß in Richtung Kiew mag die Hoffnung auf einen raschen „Enthauptungsschlag“ einschließlich Gefangennahme der Regierung Zelinskiy gewesen sein. Es mag auch eine Drohgebärde gewesen sein; möglicherweise sogar ein Ablenkungsmanöver von Rußlands Hauptziel, den Donbas zu erobern, eine Landbrücke zur Krim zu schaffen und möglicherweise sogar die ganze Südukraine zu besetzen und damit den verbleibenden ukrainischen Rumpfstaat von allen Seehäfen abzuschneiden. Auch der Gedanke an eine Landbrücke nach Transnistrien, einen de-facto abgespaltenen, russisch besiedelten Landstrich von Moldawien, man da mit hineinspielen.

Aber vielleicht hat der Präsident der russischen Föderation noch einen sehr viel weitreichenderen Plan; etwas, das mehr umfaßt als vergleichsweise geringe Landgewinne an der Peripherie des Riesenreiches. Mindestens im Hintergrund mag der Wirtschaftskrieg eine Rolle spielen.

Sanktionen gegen Rußland – und einzelne Politiker beziehungsweise oligarchische Wirtschaftsmagnaten – hat es bereits nach der Besetzung und Annektierung der Krim gegeben. Man mußte davon ausgehen, daß diese Sanktionen sich mit Beginn der von Rußland so genannten „militärischen Sonderaktion“ verschärfen würden, sehr, sehr stark verschärfen würden.

Nun ist es aber so, daß in einem Krieg auch die tatsächlich oder vermeintlich überlegene Seite mit Verlusten rechnen muß. Manchmal sind die Verluste der stärkeren Seite sogar größer, weil sie eben mehr Ziele bietet. Das ist nicht nur in einem echten Krieg, einem Schieß-Krieg, auf dem Schlachtfeld, so, sondern es kann bei einem Wirtschaftskraft genauso sein.

Länder wie Nordkorea oder den Irak oder den Iran mit Sanktionen zu treffen, ist relativ leicht; solche Länder spielen in der Weltwirtschaft eine äußerst geringe Rolle. Rußland ist da eine ganz andere Dimension. Und vor allem: Dem rohstoffreichen Rußland stehen auch asiatische Märke offen; dazu solche in Lateinamerika und Afrika. Allein Länder wie China oder Indien haben eine größere Bevölkerung als der ganze „Wertewesten“ mit seiner Führungsmacht USA und deren Anhängsel Westeuropa.

Dieser Wirtschaftskrieg mag dazu führen, daß über kurz oder lang der US-Dollar als Leitwährung der Weltwirtschaft ausgedient hat. Und daß der EURO, der durch gewaltige „Geldschöpfung aus dem Nichts“ sowieso aufgebläht ist wie sonst was, bestimmt nicht an seine Stelle treten wird.

Zwischen Rußland und Indien wurde bereits vereinbart, daß der bilaterale Handel künftig direkt Rubel gegen Rupien beziehungsweise umgekehrt abgerechnet wird; ohne Dollar oder sonst eine Währung als eine Art von „Zwischenstation“.

Bemerkenswert ist auch, daß der Staat Israel den Yuan-Anteil seiner Währungsreserven erhöht und zugleich US-Dollar und EURO reduziert hat. Da hat man möglicherweise den richtigen Riecher und stellt sich schon einmal auf Veränderungen ein.

Angesichts der geringen Staatsverschuldung Rußlands, seiner durchaus leistungsfähigen Industrie, seines Überschusses an Agrarprodukten und vor allem seines Reichtums an Energieträgern ist es durchaus möglich, daß dieser Wirtschaftskrieg den westlichen Angreifer erheblich mehr kosten wird als den russischen Verteidiger. Ja, es ist sogar vorstellbar, daß die nach dem Niedergang des Sowjet-Kommunismus herrschende US-amerikanische Dominanz nicht militärisch oder geopolitisch gebrochen wird, sondern auf dem Umweg über die US-Währung.

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