Als ich Abschieber war… (von Christian Worch)

Der doppelte Messermord in einem Regionalzug bei Brokstedt (Schleswig-Holstein) durch einen angeblich staatenlosen und juristisch schwer vorbelasteten Palästinenser erregt auch nach einigen Tagen noch die Gemüter. Die Frage, wie man besser abschieben könne, ist in aller Munde. Dabei kann es so schön einfach sein! Ausgerechnet ich habe vor einem Vierteljahrhundert in etwa anderthalb Jahren rund dreißig Ausländern zur Abschiebung verholfen. Nicht in staatlichem Auftrag, rein ehrenamtlich, und ohne dafür nur einen Cent (beziehungsweise damals Pfennig) zu bekommen. Sogar das dafür nötige Porto habe ich aus eigener Tasche bezahlt, aus reiner Menschenfreundlichkeit. Und weil es natürlich politisch in meinem Sinne war!

Wie kams?

Ich hatte damals ein wenig Knast abzusitzen, wegen „Verstoß gegen ein Vereinigungsverbot“. Das ist nichts, was sexuell anstößig ist; mit dieser etwas sperrigen Formulierung war gemeint, ich sollte nach dem Verbot der ANS/NA verbotswidrig deren organisatorischen Zusammenhalt fortgesetzt haben. Dafür gab es von der Staatsschutzkammer des Landgerichts Frankfurt am Main zwei Jahre. Ein etwas fragwürdiger Prozeß, allein, wenn man daran denkt, daß die ANS/NA im Jahre 1983 verboten wurde, die Verurteilung aber erst im Jahre 1994, elf Jahre später, erfolgte…. Aber egal. Ich saß das also von Januar 1996 bis November 1997 größtenteils ab. Und weil ich keine Lust hatte, mit kleinkriminellen Eierdieben zusammen die Vorzüge des offenen Vollzuges zu genießen, ließ ich mich von der zuständigen Kommission in die Anstalt Fuhlsbüttel II einweisen bekannt als „Santa Fu“, im Jargon auch genannt „the real thing“.

Eigentlich kam man da nur rein, wenn man mindestens fünf Jahre „an der Backe“ hatte. Aber für eine relativ kurze Zeit versuchte die Vollzugsbehörde, die sich in einem Langstrafen-Gefängnis zwangsläufig bildende verkrustete Innenstruktur aufzubrechen, indem sie auch sogenannte „Kurzstrafer“ dazwischen mischten, wozu ich mit meinen nur zwei Jahren zählte. Ich hatte also Glück, in dieses kleine Zeitfenster zu kommen.

Weil ich rechtskundig bin, wurde ich schon bald von allen möglichen Mitknackis angesprochen, die Probleme mit Behörden und/oder Gerichten hatten. Und dabei stellte ich fest, daß sehr viele meiner ausländischen Mitgefangenen abgeschoben werden w o l l t e n . Nur daß dieser ihr guter Wille an der Schwerfälligkeit deutscher Behörden scheiterte.

Der Grund für diese Bereitschaft ist vergleichsweise einfach zu erklären. Ein Strafgefangener muß bei „guter Führung“ und einigen anderen Voraussetzungen oftmals nur zwei Drittel seiner Haftzeit absitzen. Bei einem straffällig gewordenen Ausländer, der eine längere Haftzeit hat, besteht aber die Möglichkeit, ihn nach der Hälfte der Strafzeit vorzeitig zu entlassen, wenn seine zeitgleiche Abschiebung sichergestellt ist.

Wenn jemand – beispielsweise – wegen eines schweren Drogendelikts zwölf Jahre bekommen hat, macht das schon einen Unterschied. Dann hat er im Normalfall acht Jahre vor sich. Sind aber die Voraussetzungen für die Abschiebung erfüllt, kann er zwei Jahre Haftzeit sparen. Und der deutsche Steuerzahler sparte (nach damaliger Währung) dann rund 70.000 D-Mark, weil vor einem Vierteljahrhundert der Aufenthalt eines Gefangenen im geschlossenen Vollzug monatlich rund 3.000 D-Mark kostete.

Einziges Problem bei der Anwendung dieser Methode ist, daß dann drei Behörden zusammenwirken müssen. Die Ausländerbehörde muß bestätigen, daß die Abschiebevoraussetzungen gegeben sind. Sodann bestätigt die Staatsanwaltschaft, daß sie gegen eine Entlassung nach der Hälfte der Strafzeit keine Einwände hat, wenn sichergestellt ist, daß der Betroffene unmittelbar aus der Haft heraus abgeschoben wird. Und dann erläßt das Gericht einen entsprechenden Beschluß.

Aber auch wenn viele von den Ausländern, vor allem langjährig hier lebende, ordentlich deutsch sprachen, waren sie im schriftlichen Umgang mit Behörden wenig erfahren, ja, beinahe hilflos. Da bedurfte es dann eines Vermittlers. Denn die Behörden waren so schwerfällig, daß sie in sehr, sehr, sehr vielen Fällen nicht von sich aus auf die Anwendung dieser menschenfreundlichen und sozialverträglichen Regelung kamen. Also wurde ich als ehrenamtlicher Abschiebe-Helfer tätig. Unter meinen ausländischen Mitgefangenen – sowohl denen, die abgeschoben werden wollten, als auch denen, die lieber hier bleiben wollten – war ich deshalb ungeheuer beliebt. Daß ich wegen neonazistischer Aktivitäten verurteilt war, störte sie überhaupt nicht. Im Gegenteil, die meisten hatten deshalb großen Respekt. Viele sagten mir: „Ich sitze, weil ich illegal Kohle gemacht habe.“ Oder in anderen Fällen: „Ich sitze, weil ich meine ungetreue Ehefrau und/oder meinen Nebenbuhler gekillt habe.“ Und dann als nächstes: „Du sitzt, weil du dich für dein Volk und deine Heimat eingesetzt hast. Davon gibt es in Deutschland viel zu wenige!“

Sogar der Leitung der Haftanstalt fiel das auf, und sie war mit meinen Aktivitäten durchaus zufrieden, machten sie doch für neue Generationen Gefangene so manchen Haftplatz vorzeitig frei. In Würdigung dessen schrieben sie dann in die Stellungnahme zu meiner vorzeitigen Entlassung hinein: „Herr Worch halft vielfach auch seinen ausländischen Mitgefangenen bei der Bewältigung des Haftalltages.“ Eine dezente Umschreibung für das, was wirklich abgegangen war. Aber man kann verstehen, daß die Anstalt nicht in einer amtlichen Stellungnahme auf die Versäumnisse und Trägheit anderer deutscher Behörden hinweisen wollte….

Also, es kann alles so leicht sein!

Die Voraussetzung ist allerdings, daß die Strafjustizi erst einmal richtig durchgreift, damit bei kriminellen Ausländern auch die Bereitschaft geweckt wird, für die Beschaffung ihrer nötigen Papiere aktiv zu sorgen. (Denn ohne Paß keine Abschiebung!) Kennzeichnend war für mich das Gespräch mit einem nigerianischen Mitgefangenen, einem hochintelligenten Mann. Ifesinachi Ohonda – was vermutlich sogar sein richtiger Name war! – war beim BKA unter insgesamt sechzehn (!) Alias-Namen bekannt, weil er in so vielen verschiedenen Städten unter jeweils einem anderen Namen Sozialhilfe kassiert hatte. Nach heutigem Geldwert wäre das ein Monatseinkommen von achttausend Euro (steuerfrei) gewesen. Hinzu kam, daß er in jeder dieser Städte sogar eine Wohnung unterhielt, die das Amt bezahlte. Natürlich bewohnte er die nicht alle selbst; den größten Teil davon hatte er illegal an andere, oftmals illegal hier lebende Ausländer vermietet, was ihm monatlich ein paar weitere Tausender (damals in D-Mark, heute wären es Euro) gebracht hat. Cleverer Mann! Nunja, er hatte in Lagos Nationalökonomie studiert, eine echte Fachkraft also!

Eines Tages bei einer Tasse Kaffee in der Teeküche unserer Station fragte ich den Mann, den wir wegen seines schwer auszusprechenden Namens einfach nur „Andy“ nannten: „Sag mal, Andy, wenn du die Wahl hast, nach Hälfte deiner Haftzeit in die Heimat abgeschoben zu werden oder zwei Drittel verbüßen zu müssen, dafür aber in Deutschland bleiben zu können, was würdest du wollen?“

Andy sagte mir in seinem ausgezeichneten Englisch (er sprach es besser als ich, weil es in Nigeria zweite Amtssprache ist): Er wolle lieber abgeschoben werden. Er habe elf Jahre bekommen!

Warum, fragte ich. Wegen sechzehnfachen Sozialbetruges könne es doch keine so hohe Strafe gegeben haben?

Nein, bekannte er, dabei hätten auch noch die fünf Kilo Kokain eine Rolle gespielt, die man im Keller seiner Freundin gefunden hatte und von denen die Richter nicht geglaubt hatten, daß sie seiner Freundin gehörten….

Andy zur vorzeitigen Abschiebung zu verhelfen, war mir nicht mehr möglich; dafür war meine eigene Haftzeit einfach zu kurz. Aber er kannte durch mich ja nun die Methode, und ich bin sicher, er war clever genug, es dann auch allein auf die Reihe zu bringen. Andy verabschiedete sich anläßlich meiner Entlassung von mir mit den Worten: „You was to good to us!“ – „Du warst zu gut zu uns!“ Womit er die schwarze Community des damaligen „Santa Fu“ meinte, die damals ungefähr ein Dutzend Afrikaner betrug. (Heute dürften es erheblich mehr sein….)

Dafür konnte ich einem Türken helfen, der in Frankfurt am Main zu lebenslang verurteilt worden war. Er hatte seinen Nebenbuhler ermordet, der ihn mit seiner Frau betrogen hatte. Nach fünf Jahren in einem deutschen Knast hatte er natürlich keinen Antrag auf vorzeitige Entlassung gestellt (das geht in solchen Fällen frühestens nach fünfzehn und nicht schon nach fünf Jahren), aber er hatte einen Antrag auf Restverbüßung in der Heimat gestellt. Das ist nach deutschem Gesetz auch möglich. Ich half ihm mit ein paar Schriftsätzen an die zuständige Staatsanwaltschaft, und als ich dann entlassen wurde, war die Sache in trockenen Tüchtern. Er saß zwar noch in Hamburg, aber es war absehbar, daß er in wenigen Wochen oder allenfalls zwei, drei Monaten im Flieger nach Istanbul sein würde.

Nun wußte ich, daß die türkische Rechtssprechung sogenannte „Ehrenmorde“ ungeheuer viel milder behandelt als die deutsche, und deshalb interessierte mich, wie es dann mit dem Mann weitergehen würde. Er erzählte es mir ganz offen:

„Wenn ich in Istanbul ankomme, werde ich am Flughaften von der Polizei verhaftet und in Handschellen abgeführt – es könnte ja sein, daß ein Mitarbeiter der Botschaft am Flughafen ist und beobachtet. Noch immer in Handschellen werde ich dann durch den Vordereingang ins Polizeipräsidium gebracht – auch vor dem Präsidium könnte ja ein Beobachter der Botschaft stehen. Bin ich drinnen, wo mich keiner von außen mehr sehen kann, nehmen sie mir die Handschellen ab und bringen mich zum Polizeipräsidenten. Der heißt mich willkommen in der Heimat, bietet mir eine Tasse Tee an und frag mich, wie es mir in Alemanya ergangen ist. Wir trinken vielleicht noch eine zweite Tasse Tee, und dann bringt er mich zum Hinterausgang, wo keiner mehr zuschauen kann, und ich verlasse das Präsidium als freier Mann.“

Vielleicht entspricht das nicht unbedingt deutschem Rechtsverständnis, aber nach türkischen Begriffen hat er für den Mord sogar mehr als genug gebüßt; er hat ja einen erwachsenen Mann aus ehrenhaften Gründen getötet, und in seiner Heimat würde er dafür nur ungefähr zwei bis drei Jahre gesessen haben….

In dem Brokstedt-Fall kam inzwischen heraus, daß der angeblich staatenlose Palästinenser in Nordrhein-Westfalen die Kleinigkeit von zwanzig weiteren Verfahren offen hatte. Das hätte gereicht, ihn bis zu neuerlichen Verurteilungen in Untersuchungshaft zu behalten, und die Summe der dann zu verhängenden Urteile wäre wohl hoch genug, daß er sich in Strafhaft überlegt hätte, ob er wirklich staatenlos bleiben wolle oder sich nicht irgendeinen Paß besorgen wolle, um abgeschoben zu werden. Zwei junge Menschen würden noch leben, fünf andere Verletzte wären nicht für den Rest ihres Lebens traumatisiert, und der Steuerzahler würde den Gegenwert eines noblen Einfamilienhauses sparen, weil der Mann nicht die nächsten zwanzig oder so Jahre hier hinter Gittern sitzen müßte. Es könnte alles sooooo einfach sein! Aber wir haben es leider entweder mit Dummheit oder mit behördlicher Trägheit oder gar mit politischer Böswilligkeit zu tun.

von Christian Worch

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